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Dylan und ich

Ich saß am Schreibtisch und arbeitete, als die Nachricht kam: Meine Handy rappelte kurz und ich dachte “ na, was ist nun wieder passiert?“ Verwundert las ich dann im Nachrichtenfeed, dass  Bob Dylan Literaturnobelpreisträger 2016 ist.

Mein erstes Gefühl war tatsächlich Freude. In der Folge fragte ich mich warum. Und mit Interesse verfolgte ich die Meldungen, die über den Tag verteilt durch alle Medien gingen. Und nicht alle teilten meine Freude. Viele schienen (und scheinen) irritiert, dass ein Singer/ Songwriter einen Preis für Literatur bekommt.

Dylan polarisiert. Tat er schon immer. So lange ich ihn und seine Texte und Musik „kenne“. Und das ist nun schon ganz schön lange. Es gab schon immer die, die ihm durch alle Höhen und Tiefen begeistert folgten und die, die ihn aus den verschiedensten Gründen ablehnten. Ich gehöre zur ersten Gruppe.

Ich erinnere mich an ein Dylan Konzert in Hannover – es muss Anfang der 1990iger gewesen sein. Erst ließ er das Publikum lange warten, dann kam er, schrammelte lustlos und ohne ein Wort der Begrüßung auf der Gitarre rum (der Sound war fürchterlich) und verschwand nach etwas mehr als einer Stunde wortlos und ohne eine Zugabe von der Bühne. Das Publikum pfiff… zurecht. Und ich dachte damals: Dylan, das war`s zwischen uns. Unsere Beziehung ist zu Ende. Endgültig! Diesem Konzert war ein Jahrzehnt mit eher schlechten Dylan Alben vorausgegangen. Seichte Musik,…. seine Hinwendung zum Christentum, eher nichtssagende Musik (aber auch hier gab es Ausnahmen, wie z.B. das Album „infidels“). Nach diesem Konzert dachte ich wirklich, Dylan ist „durch“. Doch dann folgten Alben wie „No Mercy“, ein paar Jahre später „Time out of mind“ (ein wahres Meisterwerk) . Und Dylan war wieder lebendig.  Lebendiger als zuvor. Und ist es bis heute geblieben.

Aber Dylan ist eben mehr als seine Musik. Es ist vor allem auch seine Lyrik. Seine Texte, seine Worte. Seine Bilder. In allem steckt Poesie und eine Kraft, die so nur bei wenigen woanders zu finden ist. Ich erinnere mich an meine Jugend: Dylan krächzte laut über die Anlage meines „großen Bruders“ durch das Haus und brachte meine Eltern zu Wutausbrüchen. Bei mir blieben die Songs wie „Girl from the North Country“, „Tangled up in blue“ oder „simple twist of fate“ hängen. Die eigenartige Stimme, die dichte Stimmung und, na klar, die wenigen Textzeilen, die ich beim Hören verstand: Diese Mischung grub sich in meinen Schädel.  Ich begann die Texte zu lesen: mühselig übersetzte ich Wort für Wort. Je mehr ich verstand, je mehr ich kapierte, desto mehr erschloss sich dem pubertierenden Jungen ein neuer Kosmos. Die Worte packten und bewegten mich. Das tun sie bis heute. Und immer wieder weiß Dylan zu überraschen.

Ein Straßensänger in Berlín
Ein Straßensänger (Boxi Barré)  in Berlín

Es sind Textzeilen wie:

„My pathway led by confusion boats                                    „Mein Dasein führte vorbei an Schiffen der Wirrnis
mutiny from stern to bow                                                      Meuterei von Heck bis Bug
ah, but I was so much older then                                         ach ja, da war ich so viel älter
I`m younger than that now“                                                  heute bin ich jünger als damals“

(Text aus My back pages, all rights reserved Bob Dylan, Album „Another side of Bob Dylan“ – übersetzt von Gisbert Haefs)

In den vergangenen Jahrzehnten ist Dylan ein guter Freund geworden. Seine Musik, aber vor allem eben auch seine lyrischen Texte, in denen er sich in vielen Genres ( über die Klassiker der Antike über die Romanciers Europas bishin zu den großen Hollywoodfilmen) bediente, um seine eigene Sicht auf die Dinge in seiner ganz eigenen Sprache zu artikulieren. Hier finde ich immer wieder Inspiration und Muße. (Sehr zu empfehlen das Buch „lyrics“ – Mit den gesammelten Texten und ihren deutschen Ãœbersetzungen: Ãœber 1.100 Seiten!)

Das letzte Mal sah ich Dylan life im Oktober 2013, als er auf seiner „Never-Ending-Tour“ wieder mal nach Hannover gekommen war. Dieses Mal mit Songs seines  Albums „Tempest“ im Gepäck. Und dieses Mal erlebte ich ein großartiges Konzert mit beinahe epischer Tiefe. Zwei Stunden Gänsehaut. Dylan ohne Instrument, stehend am Mikrofon: Es wirkte fast so als sänge er nicht, sondern rezitiere voller Inbrunst seine Songs.

Straßenmusiker am Prenzlauer Berg, Berlin
Straßenmusiker am Prenzlauer Berg, Berlin

Längst ist Dylan zu einer Kultfigur geworden. Er ist kauzig und schräg. Doch Dylan darf das. Ich sehe es ihm nach. Es gehört zu ihm, wie der Nebel zum Oktober.  Er macht das, was er will. Und auch das mag ich. Er hat sich nie darum geschert, was der Zeitgeist sagt. Und auch jetzt, nach Verleihung des Nobelpreises, zeigt er sich gewohnt still und kauzig.  Irgendwie war das zu ahnen.

Dieser Preis aber adelt nicht nur sein Schaffen. Mit der Verleihung dieses Preises wird auch ein Stück Gesellschaftskultur der letzten fünfzig Jahre ausgezeichnet.  Nun ist der Protest einer (oder mehrerer) Generation(en) erwachsen geworden. Ich fühle es wie Stephan Wackwitz, der einen wunderbaren Artikel („Einer von uns“) über Dylan in der aktuellen  Ausgabe (20.10.2016) der „ZEIT“  geschrieben hat.

So, und was hat das ganze nun auf meinem Blog zu suchen und  wo ist die Schnittstelle zur Fotografie? Tja, wer sich das fragt, dem lege ich die wunderbaren Texte Dylans ans Herz. Dort finden sich Antworten auf Fragen wie diese.

Die hier gezeigten Fotos zeigen Künstler, deren Spiel mich an Dylan erinnerten.

5 Kommentare

  1. Markus

    Habe es im Auto gehoert, war ein wenig baff, hab mich irgendwie aber trotzdem gefreut. Gefreut auch, weil ich jetzt endlich mal Werke eines Literaturnobelpreistraegers im Schrank habe BEVOR der den Pott nach hause holt. Haruki Murakami hat es ja auch ins Finale geschafft… …haette mich auch gefreut. Hauptsache die ‚Bayern‘ haben nicht wieder abgeraeumt.

    ..aber zurueck zu Dylan. Dylan und mein Weg begann in der Tat mit einem Strassenmusiker in Bochum der ‚Sara‘ spielte. Habe mir daraufhin eine Gitarre und DESIRE zugelegt. Da war ich vierzehn. Mein ‚3-‚Realschulenglisch war eher bescheiden… …doch trotzdem habe ich mich durch die Texte gewuehlt. Ein Jahr spaeter erschien der erste Teil von LYRICS, trotzdem blieben seine Texte immer noch teils schwer verdaubare Happen. Bruce ging leichter ins Blut. Aber gerade das eckige blieb haengen und hat mich um so mache Huerde meiner Jugend gelotst und mir manches ‚but I was so much older then..‘ erspart!!! Schoen das du My Back Pages gewaehlt hast, ein ganz grosser Text. Ueberlegt dir mal, der Bursche war 23 als er das Ding geschrieben hat. Was fuer eine Weitsicht!

    LG, Markus

    PS: ..ach ja.. ..sollte mal ein Preistraeger fuer den Literaturnobelpreis fuer Fotografie gesucht werden, bist du mit ALLE AUGENBLICKE mein Mann! 😉

    • AlleAugenblicke

      Ach Markus, du machst mich sprachlos… In einem Kommentar tauchen der „Boss“ , Murakami und Dylan auf. Alles drei Lieblinge von mir… Wunderbar. Vielen, vielen Dank für diesen sehr persönlichen Kommentar.
      (Und den Preis für diesen Blog vergessen wir mal: Da gibt es ganz andere 🙂 – Aber trotzdem: DANKE!)

      Liebe Grüße und ein schönes WE!
      Werner

  2. Markus

    Dein Post hat seine Bobheit wohl heute dazu bewegt sich doch zum Preis zu aeussern. Er freut sich drueber und moechte nach Stockholm reisen. Geht doch! 🙂

    Ja, Murakami ist echt ein ganz Grosser…. …ja und der Bruce war einfach mein unsichbarer Freund im Plattenschrank, der mir tuechtig weitergeholfen hat!

    dir auch ein schoenes Wochenende.

    LG, Markus

  3. Als treue Leserin weiß ich ja, dass dir Dylan sehr nah ist. Und so finde ich diesen Post ziemlich toll.

    Mich hat Dylan nie berührt, ich hasse seine Stimme und kenne seine Lyrics nicht. Ich habe mich nie mit ihm beschäftigt, aber das Wissen um das Buch mit den gedruckten Übersetzungen seiner Songs könnte das ändern ;-).
    Aber den Murakami liebe ich :-).

    LG, Conny

    • AlleAugenblicke

      Ach Conny, ich ahnte, dass dieser Beitrag nichts für dich ist 🙂 Aber nimm dir gelgentlich Zeit und lies den einen oder anderen Text… Du wirst es nicht bereuen (denk dir dann einfach seine Stimme weg 🙂
      Lg,
      Werner

      PS: Murakami liebe ich auch…

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