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Bunte Vielfalt

Das Aufwachen im Hotelbett ist wie immer und doch auf bedrückende Art und Weise anders: Noch bevor mein Smartphone sein digital nachgemachtes analoges Weckerklingeln anbringen kann, öffne ich die Augen. Mein Blick tastet vorsichtig den Raum ab. Das Zimmer einer Hotelkette. Monoton, austauschbar und beliebig: Dunkler Laminatfußboden, weiße Wände, weiße Einbauschränke. Wiedererkennungswert einer Marke, nicht eines Landes, einer Region oder einer Stadt.

Wo bin ich? Berlin oder Mumbai? Detroit oder Shanghai? Das Zimmer gibt hierauf keine Antwort.  Ich richte mich vorsichtig auf, setze meine Füße auf den Fußboden. Ich entdecke die Zeitungen und Prospekte auf dem Nachttisch. Hochglanz in englischer Sprache. Von den Titelblättern blicken mich halbnackte, spindeldürre Frauen aus dunklen Augen böse an. So ist der Zeitgeist. Und der Zeitgeist spricht natürlich englisch. Wer modern und mondän ist, der benutzt Anglizismen. Für einen Augenblick erlaube ich mir trotz der frühen Stunde ein Innehalten: Wer nimmt schon gerne das eckige und kantige  „Frau“ in den Mund, wenn er das viel geschmeidigere englische „woman“ anbringen kann? Wer sagt „Haut“, wenn „skin“ viel weltmännischer klingt? Und wer nimmt schon ein sperriges „Frühstück“ zu sich, wo ein englisches „breakfast“ an jedem Ort auf der Welt gleich ist? Ach, und überhaupt… Say it in english!  Selbst russische Oligarchen –mögen sie noch so russisch sein und auf Ihre Herkunft pochen –  bringen mit ihren wenigen Brocken englisch gerne zum Ausdruck, dass sie Bestandteil der internationalen Welt sind. Wer auf der Höhe der Zeit ist,  lässt es eben seine Mitwelt wissen und pflastert sein Leben mit Anglizismen.

Ein wenig wankend, noch etwas wacklig auf den Beinen, verlasse ich das Bett und gehe hinüber zum Fenster. Der Blick nach draußen bringt aber auch zunächst nicht wirklich Klarheit über den Ort: Eine typische Stadtrandszenerie: Eine zweispurige Straße mit wenigen Fahrzeugen. Doch alle typischen Automarken sind vertreten,  auf der anderen Seite ein McDonald Restaurant, daneben ein Parkplatz, dann ein KFC-Imbiss.  Bis hierin könnte es sich noch immer um einen beliebigen Ort in unserer globalisierten Welt handeln. Okay, das schwarze Afrika vielleicht ausgenommen.

Und immerhin, weit hinten finden sich alte Bekannte: grellbunte Neonreklamen der konformen Discounter- und Filialwelt, die die Einfallstraßen zu so vielen Städten prägen.  Das klärt die Frage des Kontinents, ja gar des Landes. Die Markenzusammenstellung läßt nur einen Rückschluss zu: Es muss eine Stadt in Deutschland sein. Langsam beruhigt sich mein Atem wieder: Bei meinen vielen rastlosen Reisen und kurzen Aufenthalten rund um die Welt, kann so ein kleiner morgendlicher Blackout wie heute, schon für einen kleinen Augenblick der Unruhe, ja gar der Angst sorgen.

Nun aber ist alles gut: Deutschland. Land der Normen und der Regeln. Noch einmal durchatmen, dann wieder unter die Decke schlüpfen und die Augen noch einen Moment schließen. Wer weiß, wo ich dann aufwache.

© Werner Pechmann, März 2014

Sontags geschlossen
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7 Kommentare

  1. HF

    Sehr schön ironisch – die Vereinheitlichung der Welt durch uniforme Produkte/Marken, die dann doch noch durch regionale Eigenheiten auf diesem Gebiet gebrochen wird! Wie lange noch? 😉 (Aussagestarkes Rossmann-Photo!)

    • AlleAugenblicke

      Ironisch soll es rüberkommen 🙂 Schön, dass meine kleine Abhandlung so rüberkommt.
      Lg,
      Werner

  2. Hi Werner, gerade überlege ich, wo der Zusammenhang zwischen dem Foto und dem Text ist. Typisch deutsch is, dass Sonntags geschlossen ist. Rossmann an sich ist deutsch, nicht international. Das vielleicht? Nun, vielleicht ist das auch gar nicht wichtig. Die „Verenglischung“ der Sprache finde ich manchmal gut, manchmal nervig und manchmal ziemlich lustg. In Firmen klingt alles viel wichtiger, im Alltag vieles cooler. Cooler? Kühler? Egal. In Hongkong wachst du in dem Hotelzimmer auf, könnte auch Berlin sein. Du bekommst zum Frühstück, was auch immer du gewohnt bist zu frühstücken. Gehst bei H&M, Zara oder Esprit shoppen, stillst deinen Hungen zwischendurch bei McDo oder Starbucks. Die gleichen Burger und Muffins weltweit. Man könnte das endlos weiterspinnen. Die Frage ist, wie man das bewertet. Einerseits sollte diese Welt zusammenwachsen, andererseits die Länder und Städte ihre Individualität bewahren. Globalisierung hat mindestens so viele Vor- wie Nachteile. Ich kann und will das an dieser Stelle nicht bewerten. Aber ich verstehe glaube ich, was du ausdrücken wolltest. LG, Conny

    • AlleAugenblicke

      Hallo Conny,

      Bilder und der Text sollen ja zum Nachdenken anregen… Ich bin mir sicher, dass der Rossmann bei dir um die Ecke genauso aussieht, wie der auf dem Foto. Und der MCD findet sich bei dir bestimmt auch…(Wenn auch nicht mit einem Hinweisschild im Gras 🙂 ). Ich habe grundsätzlich gar nichts gegen ein Zusammenwachsen der Welt (die Zeit der Nationalstaaten ist -Russland zum Trotz – ohnehin vorbei), aber bitte bei Bewahrung gewisser regionaler Feinheiten: Die machen die Unterschiede.
      Mir ist das Leben mit „Ketten“ viel stromlinienförmig.
      Lg,
      Werner

  3. Mit Spannung gelesen. Gleichzeitig bedrückend, weil Sinnesreize über viele Orte (mal unabhängig von einer Rast- und Heimatlosigkeit) ziemlich gleichgeschaltet werden. Konformität im Zuge der Globalisierung. Das ist die Kehrseite von den Bequemlichkeiten die man dadurch gern annimmt: Dieselbe Qualität überall im Sinne des Markenimages, keine Experimente oder Reinfälle, aber eben auch keine Überraschungen. Das Bewährte als Konzept funktioniert. Beispiel: Rossmann neben „Hugos Allerlei“: Wo gehst du rein, um „dein“ Deo zu kaufen?
    Aber das beklemmende Gefühl kann ich nachvollziehen.

    • AlleAugenblicke

      Ich finde es vor allem schade, dass so etwas wie „Regionalität“ verloren geht: Das Brötchen, was du bei deinem Bäcker kaufst, schmeckt schlimmstenfalls genauso wie das Brötchen in München, Rostock oder Freiburg. Und Beispiele dieser Art lassen sich beliebig viele finden. Das ist ein Verlust von Pluralismus, den ich sehr bedauere. – Was steht dann am Ende einer solchen Entwicklung?
      Lg,
      Werner

  4. Puha, da hast Du aber Glück gehabt. Manch einer verliert ja das Gedächtnis komplett und weiß noch nicht mal mehr seinen Namen. Um auf Nummer sicher zugehen würde ich an Deiner Stelle den Ausweis auf das Nachttischchen legen. Man weiß ja nie was als nächstes kommt. 🙂

    LG, Gerd

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