{"id":2522,"date":"2016-10-23T10:00:28","date_gmt":"2016-10-23T08:00:28","guid":{"rendered":"https:\/\/alleaugenblicke.de\/?p=2522"},"modified":"2016-12-06T21:44:31","modified_gmt":"2016-12-06T20:44:31","slug":"dylan-und-ich","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/alleaugenblicke.de\/dylan-und-ich\/","title":{"rendered":"Dylan und ich"},"content":{"rendered":"

Ich sa\u00df am Schreibtisch und arbeitete, als die Nachricht kam: Meine Handy rappelte kurz und ich dachte “ na, was ist nun wieder passiert?“ Verwundert las ich dann im Nachrichtenfeed, dass  Bob Dylan Literaturnobelpreistr\u00e4ger 2016 ist.<\/h4>\n

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Mein erstes Gef\u00fchl war tats\u00e4chlich Freude. In der Folge fragte ich mich warum. Und mit Interesse verfolgte ich die Meldungen, die \u00fcber den Tag verteilt durch alle Medien gingen. Und nicht alle teilten meine Freude. Viele schienen (und scheinen) irritiert, dass ein Singer\/ Songwriter einen Preis f\u00fcr Literatur bekommt.<\/h4>\n

Dylan polarisiert. Tat er schon immer. So lange ich ihn und seine Texte und Musik „kenne“. Und das ist nun schon ganz sch\u00f6n lange. Es gab schon immer die, die ihm durch alle H\u00f6hen und Tiefen begeistert folgten und die, die ihn aus den verschiedensten Gr\u00fcnden ablehnten. Ich geh\u00f6re zur ersten Gruppe.<\/h4>\n

Ich erinnere mich an ein Dylan Konzert in Hannover – es muss Anfang der 1990iger gewesen sein. Erst lie\u00df er das Publikum lange warten, dann kam er, schrammelte lustlos und ohne ein Wort der Begr\u00fc\u00dfung auf der Gitarre rum (der Sound war f\u00fcrchterlich) und verschwand nach etwas mehr als einer Stunde wortlos und ohne eine Zugabe von der B\u00fchne. Das Publikum pfiff… zurecht. Und ich dachte damals: Dylan, das war`s zwischen uns. Unsere Beziehung ist zu Ende. Endg\u00fcltig! Diesem Konzert war ein Jahrzehnt mit eher schlechten Dylan Alben vorausgegangen. Seichte Musik,…. seine Hinwendung zum Christentum, eher nichtssagende Musik (aber auch hier gab es Ausnahmen, wie z.B. das Album „infidels“). Nach diesem Konzert dachte ich wirklich, Dylan ist „durch“. Doch dann folgten Alben wie „No Mercy“, ein paar Jahre sp\u00e4ter „Time out of mind“ (ein wahres Meisterwerk) . Und Dylan war wieder lebendig.  Lebendiger als zuvor. Und ist es bis heute geblieben.<\/h4>\n

Aber Dylan ist eben mehr als seine Musik. Es ist vor allem auch seine Lyrik. Seine Texte, seine Worte. Seine Bilder. In allem steckt Poesie und eine Kraft, die so nur bei wenigen woanders zu finden ist. Ich erinnere mich an meine Jugend: Dylan kr\u00e4chzte laut \u00fcber die Anlage meines „gro\u00dfen Bruders“ durch das Haus und brachte meine Eltern zu Wutausbr\u00fcchen. Bei mir blieben die Songs wie „Girl from the North Country“, „Tangled up in blue“ oder „simple twist of fate“ h\u00e4ngen. Die eigenartige Stimme, die dichte Stimmung und, na klar, die wenigen Textzeilen, die ich beim H\u00f6ren verstand: Diese Mischung grub sich in meinen Sch\u00e4del.  Ich begann die Texte zu lesen: m\u00fchselig \u00fcbersetzte ich Wort f\u00fcr Wort. Je mehr ich verstand, je mehr ich kapierte, desto mehr erschloss sich dem pubertierenden Jungen ein neuer Kosmos. Die Worte packten und bewegten mich. Das tun sie bis heute. Und immer wieder wei\u00df Dylan zu \u00fcberraschen.<\/h4>\n
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Ein Stra\u00dfens\u00e4nger (Boxi Barr\u00e9)  in Berl\u00edn<\/figcaption><\/figure>\n

Es sind Textzeilen wie:<\/h4>\n

„My pathway led by confusion boats                                    „Mein Dasein f\u00fchrte vorbei an Schiffen der Wirrnis
\nmutiny from stern to bow                                                      Meuterei von Heck bis Bug
\nah, but I was so much older then                                         ach ja, da war ich so viel \u00e4lter
\nI`m younger than that now“                                                  heute bin ich j\u00fcnger als damals“<\/h4>\n

(Text aus My back pages, all rights reserved Bob Dylan, Album „Another side of Bob Dylan“ – \u00fcbersetzt von Gisbert Haefs)<\/p>\n

In den vergangenen Jahrzehnten ist Dylan ein guter Freund geworden. Seine Musik, aber vor allem eben auch seine lyrischen Texte, in denen er sich in vielen Genres ( \u00fcber die Klassiker der Antike \u00fcber die Romanciers Europas bishin zu den gro\u00dfen Hollywoodfilmen) bediente, um seine eigene Sicht auf die Dinge in seiner ganz eigenen Sprache zu artikulieren. Hier finde ich immer wieder Inspiration und Mu\u00dfe. (Sehr zu empfehlen das Buch „lyrics<\/a>“ – Mit den gesammelten Texten und ihren deutschen \u00dcbersetzungen: \u00dcber 1.100 Seiten!)<\/h4>\n

Das letzte Mal sah ich Dylan life im Oktober 2013, als er auf seiner „Never-Ending-Tour“ wieder mal nach Hannover gekommen war. Dieses Mal mit Songs seines  Albums „Tempest“ im Gep\u00e4ck. Und dieses Mal erlebte ich ein gro\u00dfartiges Konzert mit beinahe epischer Tiefe. Zwei Stunden G\u00e4nsehaut. Dylan ohne Instrument, stehend am Mikrofon: Es wirkte fast so als s\u00e4nge er nicht, sondern rezitiere voller Inbrunst seine Songs.<\/h4>\n
\"Stra\u00dfenmusiker<\/a>
Stra\u00dfenmusiker am Prenzlauer Berg, Berlin<\/figcaption><\/figure>\n

L\u00e4ngst ist Dylan zu einer Kultfigur geworden. Er ist kauzig und schr\u00e4g. Doch Dylan darf das. Ich sehe es ihm nach. Es geh\u00f6rt zu ihm, wie der Nebel zum Oktober.  Er macht das, was er will. Und auch das mag ich. Er hat sich nie darum geschert, was der Zeitgeist sagt. Und auch jetzt, nach Verleihung des Nobelpreises, zeigt er sich gewohnt still und kauzig.  Irgendwie war das zu ahnen.<\/h4>\n

Dieser Preis aber adelt nicht nur sein Schaffen. Mit der Verleihung dieses Preises wird auch ein St\u00fcck Gesellschaftskultur der letzten f\u00fcnfzig Jahre ausgezeichnet.  Nun ist der Protest einer (oder mehrerer) Generation(en) erwachsen geworden. Ich f\u00fchle es wie Stephan Wackwitz, der einen wunderbaren Artikel („Einer von uns“) \u00fcber Dylan in der aktuellen  Ausgabe (20.10.2016) der „ZEIT“  geschrieben hat.<\/h4>\n

So, und was hat das ganze nun auf meinem Blog zu suchen und  wo ist die Schnittstelle zur Fotografie? Tja, wer sich das fragt, dem lege ich die wunderbaren Texte Dylans ans Herz. Dort finden sich Antworten auf Fragen wie diese.<\/h4>\n

Die hier gezeigten Fotos zeigen K\u00fcnstler, deren Spiel mich an Dylan erinnerten.<\/h4>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Ich sa\u00df am Schreibtisch und arbeitete, als die Nachricht kam: Meine Handy rappelte kurz und ich dachte “ na, was ist nun wieder passiert?“ Verwundert las ich dann im…<\/p>\n