{"id":332,"date":"2014-03-23T19:03:48","date_gmt":"2014-03-23T18:03:48","guid":{"rendered":"https:\/\/alleaugenblicke.de\/?p=332"},"modified":"2014-03-23T19:03:48","modified_gmt":"2014-03-23T18:03:48","slug":"bunte-vielfalt","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/alleaugenblicke.de\/bunte-vielfalt\/","title":{"rendered":"Bunte Vielfalt"},"content":{"rendered":"

Das Aufwachen im Hotelbett ist wie immer und doch auf bedr\u00fcckende Art und Weise anders: Noch bevor mein Smartphone sein digital nachgemachtes analoges Weckerklingeln anbringen kann, \u00f6ffne ich die Augen. Mein Blick tastet vorsichtig den Raum ab. Das Zimmer einer Hotelkette. Monoton, austauschbar und beliebig: Dunkler Laminatfu\u00dfboden, wei\u00dfe W\u00e4nde, wei\u00dfe Einbauschr\u00e4nke. Wiedererkennungswert einer Marke, nicht eines Landes, einer Region oder einer Stadt.<\/p>\n

Wo bin ich? Berlin oder Mumbai? Detroit oder Shanghai? Das Zimmer gibt hierauf keine Antwort. \u00a0Ich richte mich vorsichtig auf, setze meine F\u00fc\u00dfe auf den Fu\u00dfboden. Ich entdecke die Zeitungen und Prospekte auf dem Nachttisch. Hochglanz in englischer Sprache. Von den Titelbl\u00e4ttern blicken mich halbnackte, spindeld\u00fcrre Frauen aus dunklen Augen b\u00f6se an. So ist der Zeitgeist. Und der Zeitgeist spricht nat\u00fcrlich englisch. Wer modern und mond\u00e4n ist, der benutzt Anglizismen. F\u00fcr einen Augenblick erlaube ich mir trotz der fr\u00fchen Stunde ein Innehalten: Wer nimmt schon gerne das eckige und kantige \u00a0\u201eFrau\u201c in den Mund, wenn er das viel geschmeidigere englische \u201ewoman\u201c anbringen kann? Wer sagt \u201eHaut\u201c, wenn \u201eskin\u201c viel weltm\u00e4nnischer klingt? Und wer nimmt schon ein sperriges \u201eFr\u00fchst\u00fcck\u201c zu sich, wo ein englisches \u201ebreakfast\u201c an jedem Ort auf der Welt gleich ist? Ach, und \u00fcberhaupt\u2026 Say it in english! \u00a0Selbst russische Oligarchen \u2013m\u00f6gen sie noch so russisch sein und auf Ihre Herkunft pochen \u2013 \u00a0bringen mit ihren wenigen Brocken englisch gerne zum Ausdruck, dass sie Bestandteil der internationalen Welt sind. Wer auf der H\u00f6he der Zeit ist,\u00a0 l\u00e4sst es eben seine Mitwelt wissen und pflastert sein Leben mit Anglizismen.<\/p>\n

Ein wenig wankend, noch etwas wacklig auf den Beinen, verlasse ich das Bett und gehe hin\u00fcber zum Fenster. Der Blick nach drau\u00dfen bringt aber auch zun\u00e4chst nicht wirklich Klarheit \u00fcber den Ort: Eine typische Stadtrandszenerie: Eine zweispurige Stra\u00dfe mit wenigen Fahrzeugen. Doch alle typischen Automarken sind vertreten, \u00a0auf der anderen Seite ein McDonald Restaurant, daneben ein Parkplatz, dann ein KFC-Imbiss. \u00a0Bis hierin k\u00f6nnte es sich noch immer um einen beliebigen Ort in unserer globalisierten Welt handeln. Okay, das schwarze Afrika vielleicht ausgenommen.<\/p>\n

Und immerhin, weit hinten finden sich alte Bekannte: grellbunte Neonreklamen der konformen Discounter- und Filialwelt, die die Einfallstra\u00dfen zu so vielen St\u00e4dten pr\u00e4gen. \u00a0Das kl\u00e4rt die Frage des Kontinents, ja gar des Landes. Die Markenzusammenstellung l\u00e4\u00dft nur einen R\u00fcckschluss zu: Es muss eine Stadt in Deutschland sein. Langsam beruhigt sich mein Atem wieder: Bei meinen vielen rastlosen Reisen und kurzen Aufenthalten rund um die Welt, kann so ein kleiner morgendlicher Blackout wie heute, schon f\u00fcr einen kleinen Augenblick der Unruhe, ja gar der Angst sorgen.<\/p>\n

Nun aber ist alles gut: Deutschland. Land der Normen und der Regeln. Noch einmal durchatmen, dann wieder unter die Decke schl\u00fcpfen und die Augen noch einen Moment schlie\u00dfen. Wer wei\u00df, wo ich dann aufwache.<\/p>\n

\u00a9 Werner Pechmann, M\u00e4rz 2014<\/p>\n

\"Sontags<\/a>
Sontags geschlossen<\/figcaption><\/figure>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Das Aufwachen im Hotelbett ist wie immer und doch auf bedr\u00fcckende Art und Weise anders: Noch bevor mein Smartphone sein digital nachgemachtes analoges Weckerklingeln anbringen…<\/p>\n