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99 Momente – 16 (vom Verlust der Unschuld)

99 Momente – Nr. 80 Florenz

Längst haben Worte ihre Unschuld verloren. Worte und Begriffe wie „Freiheit“, „Meinung“, „Demokratie“, „Denken“ und viele andere können fast nicht einmal gedacht werden, ohne sie direkt in einen wie auch immer gearteten Kontext zu setzen. Selbst Pierre Brice und Lex Barker stehen fassungslos in der Ecke und lassen die Mundwinkel hängen.

Wie konnte es soweit kommen? Warum haben WIR es soweit kommen lassen? Brüsten wir uns stets nicht gerne mit unserer Klugheit? Warum lassen wir es zu, dass wir den Worten ihre Freiheit nehmen?

Sprache – also Sätze und Worte – sind wesentliche Elemente des Austausches, einer friedlichen und diskursiven Kontroverse. Worten von vornherein ihre Unschuld zu nehmen, schränkt jeden Diskurs bereits im Ansatz ein.

99 Momente – Nr. 81 Siena

Ertappen wir uns nicht schon viel zu oft dabei, dass wir die Verwendung so manch eines Begriffes vermeiden? Ist das klug? Doch vielleicht sind wir gar nicht so klug, wie wir gemeinhin von uns selbst glauben? Wann werden wir uns selbst das Denken dieser Worte verbieten?

99 Momente – Nr. 82 Siena

Sind Denkverbote klug? (Ach ja, da war ja noch was: die Bildung. Aber das ist ein anderes Thema).

99 Momente – Nr. 83 Murlo

Wenn wir Gedanken, Worte, Sätze von ihrer Verwendung ausschließen, weil ihnen eine Minderheit eine Bedeutung mitgegeben hat, mit der wir nicht in Verbindung gebracht werden wollen, dann verarmen wir: Im Denken und Tun.

Was wir aber doch brauchen ist ein kreativer und geistiger Reichtum: Nur so werden wir in kleinen Schritten vorwärts gehen können und uns als Menschen nicht verlieren; mit Wertschätzung und auf Augenhöhe.

Momente – N3. 84 Siena
Momente – Nr. 85 Volterra
Momente – Nr. 86 Volterra

8 Kommentare

  1. Fühl´ dich mal ganz fest ans Herz gedrückt, lieber Werner!
    Das ist einer der für mich bedeutendsten Sätze, die ich seit Langem in dieser von Hohlphrasen geschwängerten Zeit habe lesen dürfen.

    „…Wenn wir Gedanken, Worte, Sätze von ihrer Verwendung ausschließen, weil ihnen eine Minderheit eine Bedeutung mitgegeben hat, mit der wir nicht in Verbindung gebracht werden wollen, dann verarmen wir: Im Denken und Tun…“

    Sienna, Volterra, dein (Foto-) Blick ehrt die Orte, wie wunderbar ist es dort!

    Komm´ gut in die lichtarme Zeit… 😉

    Herzlichst, Dirk

    • Werner Pechmann

      Vielen Dank, lieber Dirk für deine wunderbaren Worte.
      Komm du auch gut in den Herbst!
      Liebe Grüße,
      Werner

  2. Bludgeon

    Nun, wenn ein Kulturkreis erst einmal in so einer Abwärtsspirale steckt, dann wird auch nichts verschont. Eben nichtmal die Sprache.
    Aus dem Lateinischen wurde Italienisch durch Vergröberung und Lehnwortwellen.
    Aus den durchsetzungsstarken Römern ein impludierendener Rest – die italienischen Stadtstaaten für 1400 Jahre.
    Tausend Jahre waren die Italiener so blöd, dass sie zwischen römischen Ruinen ihre Schafe weideten, ohne die Inschriften zu lesen; ohne irgendwie zur Kenntnis zu nehmen, aus welch großer Zeit sie eigentlich herstammten.
    Wir heute erleben dasselbe. Wir erinnern etwas, aber wir erinnern UNS nicht mehr. Wir faseln von: Das war IN 2015, oder IN 2016, weil wir uns das Konstrukt aus dem Englischen klauen.
    Westdeutsche ziehen Mützen an, anstatt sie aufzusetzen.
    Sie überfressen sich AN Ostern oder AN Weihnachten, statt „zu“.
    Na und der Blödsinn mit der „kulturellen Aneignung“ erst!
    Ach. Schluss.

    Zynismus ein:
    Ich geh jetzt Rory Gallagher hörn. Den Bluesfaschisten. Der hat den Negern den Blues geklaut, der Rassist. Aber es klingt nach wie vor geil.
    Zynismus aus.

    • Werner Pechmann

      Seien wir realistisch: Bisher ist jede Kultur zugrunde gegangen. Letzten Endes an Ihrem Glauben an ein Weiter so.

      • Bludgeon

        Yepp. Andererseits wurde auch allzuoft auf brachiale Veränderung gesetzt – die sich dann schnell als SCHEISSE erwies.
        Die relativ aufgeräumte Welt von 1913 wurde 1914 durch einen völlig unnützen, vermeidbaren Krieg zerdeppert.
        Allerdings war er die Antwort auf unterbliebene Reformen überalterter Strukturen in leider allen führenden Industriestaaten gleichzeitig.
        Und der selbe Scheiß droht jetzt wieder.

  3. oli

    Lieber Werner,
    es ist schwierig, das mit der Sprache und uns Menschen.
    Sprache schneidet und unterteilt.
    Als jemand der nicht studiert hat, habe ich eine andere Sprachwahl als jemand der an der Uni war – einfach weil manche Fremdwörter oder Phrasen nicht in meinem aktiven Wortschatz gehören.
    Also führt Sprache innerhalb einer Gesellschaft schon zu einer Spaltung.
    Und dann gibt es noch die Spaltung zwischen Ethnien, Glauben, sexuellen Orientierung… wir könnten die Liste sehr lange fortsetzen.
    Meist ist es aber die aktive Verwendung der Sprache im speziellen Kontext.
    Während die Menschen jüdischen Glaubens sich selbst offen und stolz als „Juden“ bezeichnen, ist selbiges Wort aus dem Mund eines weißen glatzköpfingen Mannes in Springerstiefel und Bomberjacke sicherlich ganz anders gemeint.
    Ich so ist das sicher auch mit vielen anderen Begriffen, die wir gerade aktiv vermeiden – um entwender nicht in ein falsches Licht gerückt zu werden oder um einzelne Menschen in unserer Gesellschaft nicht zu kränken und zu verletzen.
    Kinderlieder werden umgedichtet, bekannte Bücher stehen plötzlich in der Kritik.
    Ich bin ehrlich: Ich habe noch nie einen PoC gefragt, ob ich ihn wertfrei mit den Begriffen Mohr oder Negro bezeichnen darf, wenn ich einfach die Person über seine offensichtliche Hautfarbe beschreiben möchte. Wie stehen diese dazu?
    Ist es nicht die Wertung in der Aussprache und der Kontext des Momentes, der aus einem „Du Schwoab“ einen netten kauzigen halbwegs unverständlichen Süddeutschen oder einen übereifrig tatdellosen schaffigen Geizhals macht?
    Ist Sprache nicht das, was wir daraus machen?
    Sprache kann so wunderbar sein, wenn wir vor dem verlassen des Mundes vorher das Gehirn einschalten und nachdenken, was wir mit unseren Worten erzielen können.

    Das schönste sind aber unvergleichbare Bilder kombiniert mit tiefsinnigen Worten.

    • Werner Pechmann

      Ja, das sind die Fragen dieser Zeit. Danke, du bringst mich zum Nachdenken…. und was kann es besseres geben?
      Liebe Grüße,
      Werner

  4. ach der schurl.. ich liebe das lied. und es ist ein so schwieriges thema. sprache ist macht. man glaubt gar nicht, wie viel. nicht umsonst hat tolkien saruman die sprache als sein mächtigstes werkzeug gegeben. ich glaube, das wird sehr oft unterschätzt und dem wird viel zu wenig aufmerksamkeit geschenkt. der öffentliche diskurs wird durch die art, wie medien genutzt wird, so verkürzt, dass viele vielleicht auch keine andere möglichkeit sehen, um sich selbst zu schützen.

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