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Das Mehr im Weniger

Jeden Tag, jede Stunde, ja, nahezu jede neue Minute springt uns Neues an: Hier eine Eilmeldung, dort breaking news, woanders wieder ein neuer Post auf einem Blog. Unser Leben ist nicht nur schnell (geworden), sondern vor allem auch „viel“.

Viel Neues
Viel Inhalt
Kein Maßhalten
Keine Reduktion

Ich finde im Netz Fotografien. Sie schreien mich an: Viel Farbe. Viel Gewimmel. Das Auge findet keinen Halt. Mir fehlen Bildaufbau, Struktur und auch der Sinn erschließt sich mir nicht. Der Fotograf  versucht wortreich seine Bilder zu erläutern, doch ist er nicht unbedingt ein Schriftsteller. Das Lesen fällt schwer. Dafür meint der Autor des Blogs  es gut und zeigt gleich ein ganzes Dutzend seiner Fotos. In ihnen geht es um Reisen, Orte und Begegnungen. Sie erinnern mich im weitesten Sinne an die Wimmelbilder von Ali  Mitgutsch. Darin aber war das Wimmeln Sinn und Zweck. In diesen Fotos auch? Schnell schließe ich die Seite. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Mich lässt die Seite ratlos zurück. Und es ist nicht die einzige.

Ich schaue einen Krimi. Prime Time im deutschen Fernsehen. Auch hier meint das Drehbuch es gut. Es geht nicht nur um einen Mord, um Opfer und Täter. Nein, es werden gleich in einem Rutsch eine Reihe zeitgenössischer Fragestellungen abgehandelt: So geht es auch um Flüchtlinge, Radikalismus, das soziale Gefälle und diverse andere große und kleine Probleme. Also irgendwie um alles und auch irgendwie um nichts. Der Mörder ist schnell gestellt. Aber was ist mit dem Rest?   Am Ende bleibt das  flaue Gefühl von Beliebig- und Belanglosigkeit. Ein Gefühl  der Leere. Der Krimi an sich ist schnell vergessen.

Beispiele dieser Art finden sich in allen Genres und Lebensbereichen: Fülle. Als bedeute  ein „Mehr“ stets auch ein Mehr an Qualität. – Oft aber ist dieses Mehr aber wohl nur Ausdruck mangelnder Entscheidungsfreude bei der Frage „was lasse ich weg?“ – In der Fotografie ist die Beschäftigung mit Kunst der „Leere“, sowie der Formen und Farben immer ein guter Schritt zu einer eigenen Ästhetik.

Sich selbst reduzieren. Das Mehr im Weniger suchen.

Es muss ja nicht gleich der Minimalismus zum Dogma erhoben werden. Aber es darf ruhig auch mal weniger sein. Oder?

Nicht zuletzt kann die Beschäftigung mit der Beschränkung auf „das Wenige“  auch zu einer inneren Ruhe und Entspanntheit führen. Genau das ist Fotografie auch für mich immer wieder aufs Neue.

16 Kommentare

  1. Als ich gerade gezielt Facebook besuchte um etwas zu kommentieren, sah ich, dass du einen neuen Post online hast. Schon beim Lesen des Titels war klar, dass ich diesen Post sofort, aber auch in Ruhe würde lesen müssen. Also habe ich meine Vorhaben auf später vertagt und mich an den großen Bildschirm gesetzt. Du sprichst mir so aus der Seele, genauso nehme ich es wahr, genauso fühle ich es. Zum Krimi fällt mir noch ein, dass die Dialoge im eh überladenen Film gern mit viel zu lauter Musik unterlegt werden oder werde ich alt? 😉

    Die Entscheidung, etwas wegzulassen fällt vielen schwer, das beobachte ich immer wieder. Diese Tage postete jemand viele Bilder, darunter viele, kaum unterschiedliche Versionen eines Motivs. Die Entscheidung für eine Version wäre nach meinem (!) Dafürhalten wirkungsvoller gewesen, aber damit füllt halt man keine Galerie ;-).

    Insgesamt fühle ich mich von dem „Viel“ manchmal überfordert. Und gerade der Blick durch die Kamera hilft dabei zu fokussieren und innerlich ruhig zu werden, das geht mir auch so. Oder sich in sein Bildarchiv zu vertiefen und all die Töne, das Klingeln, Piepen und Dongen zumindest für eine Weile abzustellen. Ruhe finden und darin seine Mitte. Und ausatmen…………

    Toller Post mit einer sehr guten Bildauswahl!

    LG, Conny

    • AlleAugenblicke

      Danke Conny. Unter anderem warst du – und unser Dialog – (Mit-) auslöser dieses Beitrags. Im Grunde bist du es gewesen, der MIR aus der Seele gesprochen hat. Ich brauchte dann nur noch meine Gedanken zu ordnen….
      Lg,
      Werner

  2. Vielen Dank für diesen Post. Du hast sehr gut in Worte gefasst und mit wunderbaren Bildern bekräftigt, was mich auch beim Surfen durch FotoBlogs, FB, instagram etc. und vor Allem bei der Auswahl von eigenen Bildern für Posts umtreibt – aus der Flut von Bildern, etwas Bedeutsames zumindest für den Augenblick zu finden und auf „das Wenige“ zu reduzieren.
    Gruß Peter

    • AlleAugenblicke

      Vielen Dank, Peter. Es ist schön zu wissen, dass es „Gleichgesinnte“ gibt
      Lg,
      Werner

  3. Jolomy

    Mein Buchtipp zum Thema:

    HYBRIS
    Die überforderte Gesellschaft
    Meinhard Miegel
    Propyläen

    Viel Spaß beim Lesen der
    5 Kapitel wünscht Jolomy!

    • AlleAugenblicke

      Vielen Dank für den Lesetipp 🙂

  4. HF

    Ja, das leidige Thema; wie eine Sucht – immer mehr, von Allem. Ist ja auch Doktrin von Regierung und Wirtschaft: Immer mehr Wachstum!
    Das Unbefriedigende an dem was Du beschreibst, Werner, besteht nach meinem Empfinden auch darin, das vieles davon nur Konsum ist. Befriedigung entsteht durch selbst etwas machen.

    Ich war mal in Folge Krankheit 8 Wochen von der sog. normalen Welt ‚getrennt‘. Danach hatte ich nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Seitdem lebe ich entspannt.

    Ruhiges Wochenende und LG, HF

    • AlleAugenblicke

      Ja, wir konsumieren viel zu viel. Wir hasten dahin, von einem Angebot zum nächsten. Und damit meine ich nicht nur die Angebote in den Märkten und Shops, sondern auch im Bereich der Kultur. Genuss ist Masse geworden. Und doch weniger ist mehr. Wir beide wissen das wohl.
      Dir auch ein entspanntes Wochenende!
      Lg
      Werner

  5. Heidi

    Spricht mir aus dem Herzen… aber so was von;-)! Ich schüttle schon immer mit dem Kopf, wenn wieder jemand auf Facebook 5 Fotos „+7“ gepostet hat… da konnte sich wieder mal jemand nicht entscheiden… und eigentlich sind die +7 es meist nicht mal wert, durchgeklickt zu werden… gut, ich bin Anfänger, aber meiner Meinung nach macht kaum jemand WIRKLICH so viele wirklich gute Fotos… da kann man gut und gerne mal was löschen und rausschmeißen… Oft fängt es ja schon beim Fotografieren an: es wird einfach der Auslöser gedrückt, kostet ja nix mehr, so viele Fotos zu machen… danach steht man ratlos und genervt vor einer Auswahl von 300 Fotos von einem einstündigen Treffen mit Freunden… für meinen Geschmack ist das nichts… viel zu hektisch, viel zu nervenaufreibend… Entschleunigen ist vielleicht auch hier das Mode-Zauberwort;-)

    • AlleAugenblicke

      Ja, so in etwa empfinde ich es auch. Weniger kann eben tatsächlich mehr sein.
      Ich selbst mag es, mich zu beschränken. Mir Zeit zu lassen, Motiv und Stimmung wirken zu lassen, den Ausschnitt zu wählen und dann erst auszulösen. Doch das ist angesichts der (digitalen) Technik im Grunde nicht mehr nötig. Offensichtlich aber scheint dir aber die Masse ebenso auf die „Nerven“ zu gehen. 🙂 Herzlich willkommen!
      Lg,
      Werner

  6. Fotografie ist für mich auch die Kunst des Weglassens.

    Weniger ist mehr – es ist einfacher den Betrachter auf das zu lenken, was man ihm zeigen möchte. Dinge brauchen Raum – ich habe lange Makros – immer näher – noch näher – noch mal croppen – gemacht und irgendwann war er da der Moment, dass die Dinge gar keine Luft mehr hatten. Keinen Raum sich zu Entfalten. Negativer Raum nennt sich sowas, glaube ich, aber so negativ finde ich den leere Raum gar nicht, denn er ist wichtig um das Bild in der Waage zu halten.

    Ein Foto reicht – es müssen nicht 3-5-7 Versionen des gleichen Fotos sein – man kann das schönste wählen. Es dürfen auch mal mehr Fotos zu einem Thema sein, wenn sie anders sind und wenn ich sie gerne anschaue. Nur Masse macht es leider nicht.

    Fotografie ist für mich eine Art von „Meditation und Entschleunigung“ – abschweifen – die Zeit genießen – in einer anderen, ruhigeren Welt ankommen. Details wertschätzen, Dinge sehen, an denen wir in der Hektik des Alltags vorbei laufen würden. Dinge sichtbar machen für die, die sie nie sehen würden, gerne auch nur mit einem Objektiv unterwegs sein, damit man sich nicht in der Wahl verliert.

    • Jolomy

      Ja, die Komposition dominiert das Foto!

      Brauchte es früher voluminösem und schwerem Equipment, um Landschaften und Leute ins rechte Licht zu setzen, verwenden heute Fotoamateure leichte Taschenvollautomaten (AF, AE & AT) und scheuen keine Mühe sich selbst in idealisierter Pose – auch in stundenlangen Sitzungen (Selfies +/- Stick) – formatfüllend abzulichten.

      Gute Fotografien, ob nun in 10x15cm auf Papier oder bearbeitet in 9x16cm via LED Display präsentiert, zeichnen sich durch die Reduktion der Formen und Farben auf die wesentlichen Attribute des Sujets aus …

  7. Bilder: Ein herrlicher Bildaufbau. Passend zum Thema: reduziert und doch spannend, nicht hektisch.

    Worte: Ich finde es auch wichtig in gewissen Zeitabständen beim Bloggen mal eine Zäsur zu machen. Einen Schritt zurück zu machen, um zu sehen, was man denn da eigentlich so bloggt. Ich kenne es bei mir, dass wenn ich mich einfach in meinen Beiträgen treiben lasse, man sich von seinem eigenen, gewünschten Weg entfernt. Ich wünsche mir auch eine größere Reduzierung auf das wichtige, weil es auch beruhigt und das Wesentliche ausspricht. Das geht aber leider nicht immer, da eine eigene innere Aufgewühltheit das Steuer übernimmt. Es ist ja auch leider nicht so, dass man von aussen gebremst wird. Likes, toll, schön.. …sind ja in Kommentaren der Standard. Konstruktive Kritik nicht. Deshalb bleibt es, wie generell im Leben, in der eigenen Verantwortung. Okay, im Leben hat man ja zum Glück noch Freunde und Partner die einem den Kopf waschen können. Aber auch das ist rar und ich betrachte es als Geschenk, wenn es denn so ist.

    Danke für’s bremsen, Werner!

    LG, Markus

    • AlleAugenblicke

      Was deinen Point-Blank-Blog angeht, lieber Markus, so bewegst du dich doch auf „sicherem“ Terrain (mit fällt gerade nichts besseres ein; verzeih!). – Ich meine, du hast jede Woche dein Thema, deine Bilder bewegen sich in diesem Rahmen, deine Worte ebenso. Das macht gerade deinen Blog sehens- und lesenswert, weil die Beiträge themengeführt sind. Da ist ja Beschränkung/Reduzierung – nämlich auf das Thema- eine Voraussetzung.
      Das man dabei gelegentlich über das Ziel hinausschießt (und vielleicht zu viel will) halte ich dann für menschlich..
      Nee, mach du mal so weiter…
      Lg,
      Werner
      PS: Ich danke dir für deine Worte.

  8. Jetzt würde es mich aber mal echt interessieren wie viele Blogger beim Lesen deines Beitrags nicht einen leichten Anflug von „Sch****, der meint mich!“ hatten. 🙂 😉 …oder zumindest den eigenen Blog einer kritischen Prüfung unterzogen haben. 🙂 Mir tat es jedenfalls gut dies zu tun. Da gab es ja deinerseits keinen belehrenden Zeigefinger. Ganz im Gegenteil, du hast mit deinem Beitrag einen sehr, sehr wichtigen Punkt angesprochen, der bei jedem ja auch zur kritischen Betrachtung seiner Lebensqualität anregt. Ãœberhaupt sprechen mich deine Themen sehr an. Ich bin sehr gerne hier bei dir auf deinem Blog, wenn auch leider viel zu selten. Für mich steht er für Qualität, in Wort und Bild. Eigentlich genau das, was du mit diesem Artikel anregst. Inspiration ist auch ein wichtiger Aspekt, den ich bei dir finde… …und so war es schon oft, das ich mir hier meinen geistigen Kaugummi abgeholt habe, auf dem ich stundenlang inspiriert rumkauen konnte.

    LG, Markus

  9. quantität vor qualität ist glaube ich seit langem das credo unserer zeit. vielleicht des 21. jahrhunderts? ich versuche auch, mich dem zu entziehen, was mir oft nicht gelingt, das gebe ich zu.
    deine bilder finde ich toll, minimalismus mag ich sehr, besonders in der fotografie.

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