Ich sehe mich heute noch oft an meinem Schreibtisch sitzen. Ich muss so 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein. Also schon lange her. Ende der Siebziger. In der Zeit von Schlaghosen und Batikhemden .
Der Schreibtisch stand in meinem kleinen Zimmer unter dem Dach direkt am Fenster. Mein Elternhaus lag außerhalb der Stadt, geschmiegt an einen alten Weinberg, auf dem schon lange kein Wein mehr angebaut wurde: Alte Obstbäume und dichtes Buschwerk vermittelten dem Betrachter einen kleinen Eindruck von Wildnis. In den Resten der Steinterassen fanden sich an heißen Sommertagen Nester von Blindschleichen, Kreuzottern und Erdkröten.
Hob sich mein Blick vom Schreibtisch (was er oft tat), fiel er auf einen bewaldeten Hang. Genau dort konnte ich mich in Tagträumen und komplexen Gedankenspielen verlieren. Und mein Blick hob sich oft. Der Schreibtisch war mein Ort. Hier wurde ich zum Schriftsteller und Komponist, dort entstanden Gedichte, Geschichten und Liedtexte noch zu komponierender Welthits. Hier träumte ich mich in andere Welten, lag im Clinch mit den Hausaufgaben und meine Eltern. Dort am Schreibtisch suhlte ich mich in diesen Konflikten und sehnte mich nach der einen großen erlösendenLiebe.
Das Radio befand sich dabei im Dauer „on“. Ungestört von Fernsehen (da lief nachmittags gar nichts, und abends gab es bei maximal drei Programmen Langeweile) und anderen störenden Elementen. Handy und Internet waren Zukunft (Nicht einmal die Worte waren erfunden).
Aus dem Radio lernte ich Jackson Browne, Neil Young, und all die anderen kennen, die mich -das wusste ich damals aber noch nicht – mein Leben lang begleiten sollten. Zu „Cowgirl in the sand“ spielte ich meine wenigen Akkorde auf der Gitarre und in stillen Momenten beneidete ich meinen großen, sieben Jahre älteren Bruder, der machen durfte,was er wollte: Er war für mich das, was ich endlich werden wollte: Erwachsen! In diesen Momente setzte ich mich ans offene Fenster und rauchte eine von den Zigaretten, die ich meinem Vater geklaut hatte. Das katapultierte mich für die Dauer des Glimmstengels in die Welt der Erwachsenen.
In den Tiefen einer der Schubladen meines Schreibtisches sammelte und verbarg ich meine handschriftlichen Schätze , von denen ich damals sicher war, dass ich sie irgendwann – dann wenn ich erwachsen sein würde – veröffentlichte und damit zu Ruhm und Ehre käme.
Ich wurde älter. Schule, Ausbildung , Liebe – ja, das Leben nahm mit erstaunlicher Dynamik Fahrt auf und es trug mich fort von diesem wunderbaren Platz am Schreibtisch. Die Menge an bekritzeltem Papier ließ ich hinter mir und war über Jahre auch kein Thema mehr.
Bis irgendwann…. Jahre später…
…irgendwann der Hund kam und sich auf diesen verdammten und geliebten Schreibtisch legte und sich dort breit machte. – Zu spät, wie ich dann leidvoll und unter Tränen erfahren musste. Die Zeit hatte meine schriftstellerischen Versuche entsorgt.
Heute kommt er regelmäßig, dieser Hund und legt sich bräsig genau dahin, wo er es will. Und das ist gut so. Erinnerungen leben weiter. In uns und anderen, mit denen wir sie teilen. Jetzt und später.
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Ein wunderbarer Artikel mit wunderbaren Bildern! Schon der Titel ist genial.
Zeilen voller Melancholie und während des Lesens saß ich hier und nickte an vielen Stellen zustimmend. Wunderbar, sich an die Träume von früher zu erinnern, die alten Zeiten, die in der Rückblende oft verklärt wahrgenommen werden. Und dann die Frage stellen, was daraus geworden ist. Und warum. Und dann schleicht die Erkenntnis in einem hoch, dass man damals dachte, man hätte ein ganzes Leben Zeit dafür und das fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Heute nicht mehr.
Dein Post hat mich sehr berührt.
Liebe Grüße,
Conny
Und mich berührt dein Kommentar. Danke, Conny…
Werner
So wars – genau so! Bis hin zum Glimmstengel!
Danke für diese kleine Reise in eine Zeit, in der ich noch unsterblich war.
Liebe Grüße Katrin
Das trifft es gut Katrin: wir waren damals unsterblich.
Lg,
Werner
So ist das, mit den Erinnerungen…
Wunderbar erinnert und aufgeschrieben, begleitet von tollen Bildern, danke dafür.
Liebe Grüße, Jörg
Vielen lieben Dank, Jörg,
Lg
Werner
Meine Orte der Freizeit suche ich auch heute noch regelmäßig auf. Manche 30+ Sportler beklagen ihre Leiden und ein ergrauter Fluglehrer bekannte einmal Mitte der 70iger Jahre : „Wer sich häufiger an jugendliche Erlebnisse erinnert, ist alt!“
Da sind wir Seelenverwandt was die Erinnerungen angeht. Außer vielleicht die Weinberge, hier waren es eher Fördertürme. Sehr schöne Bilder und ein gelungene Song Auswahl.
Liebe Grüße und schönes Wochenende, Gerd
Danke für diesen wunderbaren Beitrag, auch wenn er mich etwas melancholisch gemacht hat.
Einige Träume der Kindheit wurden begraben und man erkennt plötzlich, dass die Zeit viel schneller verrinnt, als man sich das früher vorgestellt hat…auch deine Fotos passen toll.
LG, Netty
Vielen Dank, liebe Netty. Schöne Worte…
Lg,
Werner
sehr schön geschrieben. auch wenn meine erinnerungen erst irgendwann in den 90ern anfangen kann ich gut nachvollziehen, was du meinst.
Wie schön!! Warum lese ich das jetzt erst!! Danke dir für diesen wunderbaren Einblick!!
Danke Christina!
Lg,
Werner
[…] als Erinnerungen wach zu halten. Denn darum geht es… Immer und immer wieder (wie schon hier oder auch […]