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Hach, Berlin!

Hach, Berlin.

Gerade gewinnst du wieder mal mein Herz mit deinen staubigen und mit Schlaglöchern durchsetzten Wegen, die das Fahrradfahren mitunter zu einem akrobatischen Akt werden lassen, immer aber eine Herausforderung für Mensch und Material sind.

Mit dem wunderbaren Weg am frühen Morgen ins Büro, quer durch den Berliner Osten, vorbei an der Spree, auf der sich die Sonnenstrahlen so verzaubernd brechen und die Hausboote träge und verschlafen dahin dümpeln, während auf den Fahrradwegen schon Krieg herrscht, der gerne bei hoher Geschwindigkeit mit Ellenbogen und Ausbremsen vor Ampelkreuzungen ausgetragen wird.

Hach, Berlin: Mein Herz gehört dir. Wieder einmal.

Doch jetzt, gut drei Wochen vor der Wahl in Berlin, wird der sonst so von Kiez zu Kiez changierende, doch aber typische Charme durch den Einheitsbrei politischer Wahlplakate erheblich gestört. Und während ich so mein zehn Kilometer ins Büro radele, denke ich darüber nach, wer diese einfältigen und inhaltsleeren Kampagnen zu verantworten hat und dafür noch (wahrscheinlich viel) Geld bekommt: „Mehr Sicherheit“ ist da zu lesen, „Berlin ist fleißig“, „Steuern nicht verfeuern“ (REIM DICH ODER ICH FRESS DICH!), „Plan B“ (ziemlich doof, doch dafür ist das Plakat selten bunt und häßlich)

Was wollen diese Floskeln?

Wie viel Geld ist für diese Kampagnen geflossen? frage ich mich, und was könnte man mit all diesem Geld positiv bewirken? Ein weiterer Gedanke beschäftigt mich: Für wie dumm, naiv und opportun halten diejenigen, die solche Kampagnen zu verantworten haben, uns „normale“ Menschen? Wer läßt sich wirklich hiervon anregen, an einer bestimmten Stelle sein Kreuz zu setzen? Ich jedenfalls verstehe diese Phrasen als eine Beleidigung meines Intellekts. (Aber ich darf hier in Berlin auch nicht wählen – Für einen stillen Augenblick bin ich dankbar dafür)

Die großen und breiten Straßen Berlins sind zugepflastert wie ein Kinderknie im Sommer: Plakatwandgroße Portraits der zu Wahl Stehenden. Gesichter so weit das Auge reicht!  Und bei diesem Anblick graust es mich, ob der Qualität der Portraits.  Wer macht solche Fotos? Wer lässt sich so abbilden? Selbst die meisten (und oft) armseligen Selfies (beim Essen, beim Kochen, beim Sport, beim Warten auf die U Bahn…) auf Instagram sind „besser“ als die Portraits der Menschen, die hier gewählt werden wollen. Wo bleiben Anspruch und Qualität (geht es nicht darum, gewählt zu werden)?

Hach, Berlin. Aber was reg`ich mich auf? In einigen Wochen sind alle Plakate im Altpapier (hoffentlich), im Groben und Ganzen wird alles so bleiben: Die Politik reibt sich wieder einmal (und nur für kurze Zeit) verwundert die Augen, warum immer weniger an Wahlen teilhaben und die, die es tun, die falschen Parteien und Kandidaten wählen.

Aber: In Berlin obsiegt dann wieder der hippe Charme dieser Stadt („be Berlin!“), also ob nie etwas gewesen ist.

Bis dahin träume ich noch ein wenig davon, was man mit all dem Geld für beknackte Plakate und bekloppte Sprüche, so bewegen könnte. Hach, Berlin!

 

13 Kommentare

  1. Kein Wahlplakat dabei …, danke dafür! 🙂
    Schöne Bilder, schön geschrieben und ich bin sicher, es wird genauso kommen.
    Liebe Grüße, Jörg

    • AlleAugenblicke

      Nee, Wahlplakate ablichten… Nee, das ist nicht meins.. 🙂 Danke für deinen Kommentar Jörg.
      Ein schönes Wochenende!
      Lg,
      Werner

  2. Ein Doppel-Like für diesen Post :-)! Ich wohne zwar nicht im hippen Berlin, aber in solchen Zeiten sieht es in allen Regionen/Städten/Dörfern Deutschlands gleich aus. Ein Irrsinn! Und während ich deinen ersten Absatz las, dachte ich, jetzt schreibe ich gleich davon, dass ich beim Anblick der schlechten Wahlplakat-Portraits schon ernsthaft auf den Gedanken kam, von mir einigermaßen aktzeptierten Parteien 😉 meine Dienste als Fotografin anzubieten :-D, aber auch darüber hast du geschrieben. Ja, grauenvoll. Offensichtlich ist das Interesse anders gelagert, als wir uns das vorstellen. Meine erste Frage wäre: Was soll das Bild transportieren? Schlechte Freistell-Fähigkeiten des Fotografen doch sicher nicht? 😉

    Je mehr Stimmen eine Partei erreicht hat, je mehr Schilder beim nächsten Wahlkampf….. Das stammt sicher noch aus Zeiten, in denen nicht mal jeder einen Fernseher hatte :-D.

    LG, Conny

    • AlleAugenblicke

      Es ist egal, in welchem Teil dieser Republik man beheimatet ist. Die Qualität der Kampagnen scheint sich immer mehr dem allgemeinen Niveau anzupassen. Vielleicht wäre aber dein Engagement, sich den Parteien als Fotografin anzubieten ein erster -aber großer – Schritt in eine andere Richtung.
      Lg,
      Werner

  3. Jolomy

    Weder die Portraits noch die primitiven Texte zielen auf das Urteilsvermögen oder das Intellekt der Wählerschaft! Es geht allein um die gefühlsmäßige Wirkung, um beim Wähler Sympathie und Zustimmung zu erlangen. Während in Ballungsräumen mittels Plakaten Stimmung „gemacht“ wird, erreichen TV Clips die Wähler – auch über (einstudierte) Mimik und (rethorischer) Tonlage – in den Regionen … (vgl. US Wahlkampf)

    • AlleAugenblicke

      Um beim Wähler Zustimmung zu erlangen, bedürfte es (Wahl-)Kampagnen, die tatsächlich die Emotionen ihrer Klientel ansprechen. Offensichtlich geschieht dies nicht oder immer weniger. Dies dokumentiert sich letztlich auch durch die zurück gehende Wahlbeteiligung. Darüber aber sollen sich andere Gedanken machen. – Ich empfinde diese Form der Ansprache als Beleidigung meines Intellekts.
      Schade um das Geld.

  4. Na schau, geht doch auch scharf in schwarzweiß. Sehr schöne Fotos und Liebeserklärung an Berlin. 😉

    LG, Gerd

    • AlleAugenblicke

      Na klar, Gerd. – Unschärfe ist ja kein „Allheilmittel“ – Grundsätzlich bleibt es bei Schärfe. -:-)
      Lg,
      Werner

  5. Eine schöne Ode an Berlin und dazu ein stimmiges Fotoset mit Hach. Klasse Werner. Was die Plakate mit den Phrasen betrifft, so läuft es leider seit vielen Jahren. Eine Win-Win-Situation für die Parteien, Agenturen, Wahlkampfmanager, Kreativen usw. die daran mitwirken…scheint es. Alle machen mit, weil man es immer so gemacht hat. Schade ist es, da sich scheinbar von Wahl zu Wahl das Niveau in der Ansprache und Inhaltes im Sinkflug befindet. Danke für die schönen Ausflug.
    Liebe Grüße,
    Stefan

    • AlleAugenblicke

      Ich danke dir, Stefan, für deine lieben Worte.
      Lg,
      Werner

  6. Moin Werner,
    wenn man sich ein wenig mit Fotografie beschäftigt, wird man durch bebilderte Wahlkampagnen sofort zum Nichtwähler 😀 Danke für diesen erfrischenden Beitrag und die wundervollen Bilder.
    Andererseits betrachte ich gerade sehr betroffen das Wahlergebnis aus Meck- Pomm und man muß einfach sagen, daß es im Moment nichts wichtigeres gibt, als das eigene Empfinden hier zurückzustellen um dagegen zu halten. Ich schäme mich mal gerade wieder für das, was dort passiert ist.
    LG kiki

    • AlleAugenblicke

      Danke für deinen lieben Kommentar…. Und ja: der Blick auf die Landtagswahl in Meck-Pomm macht betroffen. Offensichtlich sind viele Menschen in unserem Land noch nicht so weit, um die Vorzüge von Freiheit und Demokratie zu schätzen. Das ist bitter.
      Lg,
      Werner

  7. wundervolle bilder und so wahre worte, die auch auf wien grade in vielerlei hinsicht zutreffen. wieviel energie des ärgerns ich wohl schon drauf verwendet habe, mich zu fragen, was mit diesem sinnlosen „propagandageld“ (entschuldige den polemischen ausdruck) nicht alles sinnvolles gemacht hätte werden können!

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