Zum Inhalt springen

Mein analoges Leben

Die Zukunft, die wir wollen muss erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen

(Josepf Beuys)  

Dieser Satz begleitet mich durch diesen wechselhaften Sommer, der augenscheinlich nicht so recht wusste, was er sein wollte: Feucht? Trocken? Warm? Kalt? Frühling? Sommer? – So gesehen war er der ideale Partner für mich. Wir beide -der Sommer und ich- hatten vieles vor und uns ist doch so wenig gelungen.

Immer dabei aber dieser Satz von Beuys über die Zukunft, die für mich so eng mit einer Vergangenheit verknüpft ist, die es so nicht mehr geben wird, die eine Ende braucht, weil aus ihr gerade heraus nach vorne gedacht, keine Zukunft wachsen kann. Ich brauche eine Erfindung der Zukunft. 

(M)ein Ende der Vergangenheit hat viel mit Auf- und Wegräumen zu tun. Sichten, anschauen, entscheiden. Stunden- und nächtelanges Sortieren analoger Fotos: Zig tausende in Schubläden, Mappen, Alben. Massenhafte Negativstreifen überall. Das analoge Leben schlussendlich ausgebreitet auf dem Fußboden eines Wohnzimmers. Mit einem Tritt durchschreite ich Jahre: Urlaube an der Nord- und später an der Ostsee. Ein nächster Schritt und schon stehe ich in  Urlauben in der Türkei und Frankreich. Da hinten liegt die Kindergartenära, direkt daneben die Pubertät der Kids. Fussball, Reiten, Geburtstage, diverse Weihnachten und Ostern. Alles analog und agfa- und kodakbunt. Drei schöne Jahrzehnte auf dem Fußboden meines Wohnzimmers. Tausende Fotos. 

Gleichzeitig schmerzhaft und ebenso schön.  Nie wurde mir der Wert von Erinnerungen (Fotos!)  so vor Augen geführt und nie war ich dankbarer dafür, schon immer (jedenfalls so lange ich zurück denken kann) mit einer Kamera in der Hand unterwegs gewesen zu sein. Beim Wühlen in den Stapeln, beim Sortieren der Momente kann ich die Zeit, in der die Fotos entstanden sind fast riechen. So intensiv ist das Erinnern. Momente werden wieder lebendig: fast glaube ich die Stimmen, das Lachen, das Weinen der Personen auf den Fotos zu hören.    

Geht mir einfach weg mit dem ewigen Streben nach technischer Perfektion, lasst mich in Ruhe mit Megapixeln, Sensorgrößen, ISO-Empfindlichkeiten und all den anderen Hochglanz-Features, die den Konsum immer neuer Kameras und ihrem Zubehör reizen sollen.

Alles was zählt ist das Foto. So wie es ist und mit dem, was es in uns auslöst: Gefühle und Empfindungen.      

 

 

Am Ende jeder dieser kleinen Zeitreisen stehen Entscheidungen. Was kann weg, was bleibt?  Und jedes Foto, was ich in die Hand nehme, hilft dabei die Dinge loszulassen.

Der Herbst steht in den Startlöchern, genau wie meine Erfindung der Zukunft.  

Auf meinen Lippen formt sich schon einmal der (mitunter traurige) Abschied von Haus und vom Weserbergland.  

 

10 Kommentare

  1. Karin

    Einfach schön, tiefgehend, zum Nachdenken. Eine Zeit, die vergangen ist, die das Leben geprägt hat…, eine Vergangenheit, die zum Leben gehört

  2. Ich lese Deinen Blog sehr gerne, weil Deine Beiträge viel aussprechen, was auch meinem Zugang zur Fotografie entspricht und viele der ausformulierten Gedanken inspirieren einfach. Bezugnehmend auf die Vergangenheit werden uns die Jahre, wie wir sie erleben, zeigen, was uns die einzelnen Tage gelehrt haben. Und die Fotos, die wir dabei machen und gemacht haben, machen uns das das Erleben und das bereits Erlebte um vieles bewußter. Freue mich auf viele weitere Beiträge !

  3. Alles was zählt ist das Foto, ja. Wenn es gut ist, ist es kondensierte Erinnerung. Sonst ist es nur Rauschen im Nebel. Und man muss es in der Hand halten können. Tränen davon wegtupfen oder sich erinnern, warum es so eselsohrig oder verschossen oder zurechtgeschnitten ist.

    Ich hörte meine alten Bilder in Kartons. Den abertausend neuen müssen oft genug alte Festplatten genügen. Gut ist das nicht.

    Sei großzügig mit dem Platz für die Kartons. Sie sind wichtiger als vieles, was wir sonst in unsere Höhle geschleppt haben, über die Jahre.

    Dein Stefan.

    • ‚Horte‘, nicht ‚hörte‘. Aber was macht das schon. Bildern kann man ja auch zuhören, wenn sie gut und man selbst aufmerksam ist.

    • AlleAugenblicke

      Ja Stefan. Du hast Recht. Und hast mir einen wirklich schönen Satz mit auf den Weg gegeben: „…. sie sind wichtiger als vieles, was wir sonst in unsere Höhle geschleppt haben“ – Wie wunderbar!
      Danke für deine einfühlenden Worte.
      Dein Werner

  4. <3 "Alles was zählt ist das Foto. So wie es ist und mit dem, was es in uns auslöst: Gefühle und Empfindungen."
    Ganz genau. und ich merke, wie ich immer weniger reagiere auf all die technisch perfekten und austauschbaren bildern, die langzeitbelichteten wolken mit rosa himmel und wasserspiegelungen auf glatten gefilterten oberflächen. ja, schön, aber unpersönlich from hell. ich will durch die bilder etwas spüren und das gelingt viel besser durch spontaneität. durch sehen mit dem herzen, nicht mit dem belichtungsmesser.

  5. Ja, so ist es. Die Bilder des Lebens, unseres Lebens, sind die, die für uns mehr Wert haben, als alle anderen Bilder zusammen. In ihnen verwahren wir unsere Augenblicke.

    Liebe Grüße

    Conny

  6. Lieber Werner,

    ich glaube ja, dass nicht die guten Bilder zählen, sondern die intimen. Und die müssen nicht gut sein, denn sie sind bestimmt für uns unsere nächsten und unsere Herzen.

    Ich kann jeden nur empfhelen, egal ob analog oder digital, holt euch Bilder und betrachtet sie und schwelgt in den guten vergangenen Zeiten, denn die Erinnerungen sind meistens die guten und wohlklingenden.

    Weiterhin bin ich gespannt auf deine Erfindung der Zukunft.

    Viele Grüße
    Jürgen

  7. Moin Werner,
    die Bilder des eigenen Lebens sind die Wichtigsten. Sie müssen auch überhaupt nicht für andere Betrachter bestimmt sein, wichtig sind die Emotionen und Erinnerungen, die beim Betrachten wieder aufleben dürfen. Vielleicht sollte man dies nicht nur auf Bilder beschränken, sondern auch andere Dinge bewahren, die einem im Laufe der Zeit begleitet haben und dadurch auch gewisse Lebensabschnitte symbolisieren.
    Meine Mutter hat z.B. noch mein Taufkleid im Schrank. Das wird sie nie und nimmer in’s Altkleiderpaket stecken. 😉
    LG kiki

  8. Analoge Bilder in Kisten hat jeder von uns. Tief im Schrank. Lange unberührt… …doch bei dir spürt man, wie du die Bilder auch in dir trägst und genau so betrachtest, sortierst, aufhängst, wie die Bilder in den Kisten. Eine schöne Gabe.

    LG, Markus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner