Der Wecker klingelt. Einen Moment lang bin ich irritiert. Dann aber wird mir schnell klar: Ich bin nicht in Berlin oder irgendwo anders, es ist nicht Montag. Für diesen Tag gibt es keinen Namen.
Ich richte mich auf. Vom Flur her höre ich das leise aber stetige Hecheln unseres Hundes. Er freut sich. Denn er weiß: gleich startet sein Tag. Ich recke mich und stehe auf. Der Tag liegt unberührt und endlos vor mir wie eine frische Schneedecke am Morgen einer schneereichen Nacht im Winter. Ein warmes Gefühl macht sich in mir breit. Keine Termine, keine Verpflichtungen, keine Telefonate, keine Uhrzeiten. Noch die eine oder andere Email. Doch auch das wird sich legen. Ein paar Tage später, vielleicht schon morgen, spielen sie keine Rolle mehr.
Das alte Jahr ist noch nicht vorbei, das neue hat irgendwie noch nicht angefangen. Die Finanzämter versenden keine Steuerbescheide. Überhaupt: Post wird zur Nebensache.
Ich ziehe mich an. Jede Bewegung von mir wird vom Hund mit freudigem Schwanzwedeln begleitet. Nun weiß er: Ich bin dran. Dann ziehen wir los. Es regnet. Macht nichts. Ich nehme den Regen als Regen wahr. Ein schönes Gefühl. Es ist früher Morgen und der Tag beginnt, mir seine beinahe endlosen Möglichkeiten zu offenbaren. Und mein Herz weitet sich. Der erste Höhepunkt des Tages danach: der frische Kaffeeduft, der durch das Haus zieht. Ein Frühstück, das seinen Namen verdient. Mit gehöriger Portion Zeit im Nacken.
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Ich spüre die Ruhe, die nach und nach Besitz von mir ergreift. Anfangs wehrt sich noch etwas in mir. Die kleinen Männer im Ohr flüstern von „rastenden und rostenden Menschen“, von der „Unmöglichkeit sich gehen zu lassen“, vom „Dies und Das, was noch unbedingt zu erledigen ist“. Doch dieser Zustand weicht nach und nach einer warmen und wohlriechenden Gelassenheit, die mich umschließt wie wunderbar warmes Badewasser. Schließlich kann ich wieder längere Zeitungsartikel bis zum Ende lesen und muss sie nicht, wie sonst üblich, überfliegen, weil irgendetwas zu tun ist, jemand oder etwas wartet. Abends beim Lesen im Bett fallen mir dann auch die Augen nicht nach zwei Seiten zu: endlich kann ich wieder ein Buch lesen und muss nicht, getrieben von dem Gefühl von vertaner Zeit, hindurch hasten.
Die Dinge kommen ins Lot. Die Distanz zu mir wird immer kleiner.
Und dann sind auch sie wieder da: Bilder und Ideen im Kopf. Und meine Kamera verlangt nach mir: Auf der Suche nach Motiven im Alltäglichen. Lange Spaziergänge beleben den Geist. An der Seite mein Freund, der nichts fordert, der nichts will. Der im Hier und Jetzt mit mir unterwegs ist. Ich spüre die Kälte, ich sehe die Bäume, ich nehme das Leben wahr. Ich bin achtsam.
Die Distanz zu mir wird immer kleiner.
Mit etwas Glück treffe ich mich.
Lieber Werner
Es ist schön und es tut gut, diesen Text von dir zu lesen. Danke!
Herzliche Grüsse, Paul
Hallo Paul,
ein entspannter Text aus einer entspannten Zeit.
Lg,
Werner
Hallo Werner,
nimm viel von dieser Stimmung mit ins Jahr!
Gruß, HF
Hallo Hans,
I`ll do my very best 🙂
Lg,
Werner
Toll geschrieben. Zeit scheint für viele ein Luxusgut geworden zu sein, aber man kann sich seinen Freiraum nehmen. Einen Tag lang mal keine Erwartungen, schauen was so passiert, dann kommen die Motive und Eindrücke von selbst. Ob mit oder ohne Kamera. 😉
LG kiki
Moin Kiki,
danke! – Ja, Zeit ist ein hohes Gut. Und wir gehen sehr liderlich mit ihm um.
Lg,
Werner
„Die Distanz zu mir wird immer kleiner“ – die Formulierung gefällt mir sehr. Der ganze Text beschreibt das, woran wir heute kranken und auch den Weg der Heilung, so wir ihn bewusst gehen. Das Beitragsbild ist wunderschön, das untere voller Deutungsmöglichkeiten und es ist wirklich excellent für diesen Beitrag gewählt.
Mir fällt dazu eine Passage aus einem Artikel der ZEIT ein, den du vermutlich gelesen hast: „Wie Ameisen sausen wir von A nach B, um Arbeit, Kinder, Konsum zu timen, wir sind auf Trab, um bloß nicht zur Ruhe zu kommen, sind ständig entertaint. Wenn man sich das von außen anschaut, erscheint es absurd.« Das moderne Leben kommt ihr vor wie eine gigantische Beschäftigungsmaßnahme, die die dröhnende Leere im Inneren der einzelnen Individuen überbrüllen soll. Unsere Welt sei krank, findet Laura, und sie weiß, dass inzwischen viele denken wie sie. »Die Klamotten, die wir tragen, die Autos, die wir fahren, die Dinge, die wir essen, die Berufe, die wir erschaffen haben, Berufe, in denen man 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeitet und dann kein normales Leben mehr meistert. Weshalb man die Wäsche in die Wäscherei bringt, das Essen nur noch to go holt, die Wohnung von der Putzfrau sauber machen lässt.“ (ZEIT Magazin 01/2015) Schön, wenn man sich dann zumindest ab und zu einen Blick auf sich selbst gönnt und sich wieder wahrnimmt.
Ich wünsche dir viele solcher Momente in diesem Jahr!
LG, Conny
Hallo Conny,
nein, diesen Artikel kenne ich nicht. Aber das ändere ich 🙂 – Am besten stellt sich mir unsere Zeit durch das Wort „sinnentleert“ dar. Was wir tun ist sinn- und in vielen Bereichen darüberhinaus auch noch maßlos geworden. Mich „erdet“ diese zeitlose Zeit „zwischen den Jahren“, in der mir klar wird, wie sinnlos so manches ist, was wir tun. Das hilft mir und gibt mir wieder Kraft für den nächsten sinnlosen Dinge 🙂
Doch ich werde achtsam sein und bleiben.
Lg,
Werner
wunderschön geschrieben. ich kann es so gut nachvollziehen, auch wenn ich es seit langem nicht mehr geschafft habe, dieses stadium für mich selbst zu erreichen…
Klasse! Alleine das lesen Deiner Zeilen wirkt schon entspannend. Ich hoffe du hast dich mittlerweile getroffen und konntest/kannst dich gut erholen. Bei mir geht es am Mittwoch wieder los und dann wird die Distanz wieder größer, leider.
Lieben Gruß,
Jörg
Hallo Jörg,
freut mich, wenn meine Gedanken so entspannend wirken 🙂 – Ich wünsche dir nicht so viel Stress, wenn du wieder einsteigst.
Lg,
Werner
Hallo Werner,
wunderbar geschrieben, ich kann deine Gedanken sehr gut nachempfinden!
Ich versuche momentan auch immer mal, kurze Auszeiten für mich selbst zu schaffen und alles liegenzulassen, was noch zu tun ist – am besten gelingt mir dies wenn ich mir die Kamera schnappe und rausgehe 😉
LG, Netty
P.S.: Deine Hundefotos sind toll, vor allem das erste!
Hallo Netty,
danke! – Ich denke, jeder der sich im täglichen „Hamsterrad“ bewegt, kommt an diesen Punkt, wenn sich Freiräume ergeben!
Lg,
Werner
PS: Unser Hund ist auch …. wirklich ein “ ziemlich bester Freund“
Hallo Werner,
wo ich gerade „Hamsterrad“ lese: Von innen sieht das Hamsterrad aus wie eine Karriereleiter.
Gruß, HF
Schmunzel 🙂