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Was Vivian uns erzählt

Man stelle sich folgendes vor: Wir fotografieren so ziemlich genau ein ganzes Leben lang. Jeden Tag machen wir Aufnahmen. Stellen wir uns weiter vor, wir benutzen dafür eine kleine spiegellose Kamera. Das macht die Vorstellung einfacher. Wir haben sie immer dabei, fotografieren und dokumentieren die Welt, in der wir uns bewegen: Menschen, Umgebung, Landschaft, unsere Stadt, Licht und Schatten, geometrische Figuren, die unsere Umwelt uns in den Weg legt. Unseren Alltag eben. Und immer wieder Selbstportraits: Uns selbst in Schaufensterscheiben, als Schatten am Boden, als Spiegelung auf glänzenden Flächen. Jeden Tag…. sagen wir 30 Fotos.

Wir entwickeln aber nur einen kleinen Teil der Fotos. Den Rest lassen wir auf den Speicherkarten. Sind die voll, sammeln wir sie in dafür geeigneten Behältnissen, wie Dosen, Schachteln etc. (Das gleiche machen wir mit Zeitungsartikeln, ganzen Zeitschriften, Briefen, Rechnungen). Die große Mehrzahl der Fotos auf den digitalen Speichern aber schauen wir uns nicht einmal an. WIR ZEIGEN SIE NIEMANDEM (und wer vermag sich das heute überhaupt vorzustellen?) . Nein, wir fotografieren nur. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Unser Tun ist beinahe manisch. Im Verlauf von über 30 Jahren kommen auf diese Art und Weise mehrere hunderttausend Fotos zusammen. Still, unbemerkt, ungesehen.

So machte es Vivian Meier. Soweit kennen wir diese Geschichte. Doch was wissen wir sonst von dieser Frau? Kaum mehr als Oberflächlichkeiten: Lebensstationen, Beruf, Arbeitsorte, Geburts- und Todesjahr. Vieles davon läßt sich in diesem Buch nachlesen.

Was aber erzählt uns Vivian damit? Was sagt uns dieses Leben über sie und ihre Fotografie? Und was sagt es uns, die wir auch fotografieren? Mit welcher Aufmerksamkeit hast diese Frau Ihre Welt betrachtet; wie wunderbar sind ihre Fotos komponiert (und wie anspruchsvoll ist das aufgrund des 6×6 Formats der meisten Fotos?) Es lohnt sich, einen Moment bei diesen (und anderen) Fragen zu verweilen, die Fotos zu studieren, die Texte (lesenswerte Vorworte im o.g. Buch) zu lesen und nach der einen oder anderen möglichen Antwort zu suchen. Welche Kämpfe hat sie wohl mit sich und der Welt ausgetragen? Wo sah sie sich selbst in dieser Welt? Und wo die anderen?

In einer Zeit, in der uns viel zu oft alle Fragen beantwortet werden (sogar ohne sie überhaupt gestellt zu haben) und so nichts unbeantwortet bleibt, haben Leerstellen wie die des Lebens dieser Frau was Wohltuendes. Die Beschäftigung mit den Fragen, die dieses Leben und die fotografischen Arbeiten Vivian Meiers aufwerfen, führt im besten Fall auch zur Beschäftigung mit sich selbst, seiner Arbeit und seinem Leben. Und das lohnt sich immer.

PS: Nein, dieser Beitrag ist keine Werbung für das Buch. Auch wenn ich es sehr mag. – Alles ist wie immer ohne Bezahlung.

PSS: Die Fotos dieses Beitrages sind im Gasometer in Pforzheim entstanden. Dort läuft die Ausstellung eines 360 Grad Panoramas des Great Barrier Riffs von dem Künstler Yadegar Asisi. Sehr sehenswert!

3 Kommentare

  1. Oh ja, wir entwickeln nur einen kleinen Teil dieser Fotos. Und das dauert bei mir dann noch dazu eine halbe Ewigkeit… die digitale Fotografie hat wirklich ihre Vorteile, aber auch ihre Nachteile… Denn viele Erinnerungen gehen im digitalen Datenwust beinahe verloren, werden in der Masse begraben. Dabei mag ich es eigentlich sehr die Fotos auch wirklich in der Hand zu halten.

  2. Vielen lieben Dank für dein Kommentar bei mir. Oh ja, ich bin ein großer Fan von Polaroids und pflege auf jeder Reise so einige zu machen… 😉

  3. Vielen lieben Dank für dein Kommentar bei mir. Oh ja, ich bin nach wie vor ein großer Fan von Polaroids und mach auf jeder Reise so einige… 😉

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