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Keinen Makel bitte!

Narziss, Selfies, Photoshop und Beyoncé

Oh Gott, es sind Fotos aufgetaucht, auf denen im Gesicht von Beyoncé Pickel zu sehen sind. Nicht zu fassen: eine schöne heile Welt bricht zusammen. Und auf Druck strenggläubiger Fans (man merke: die strenggläubigen gibt es nicht nur unter den religiösen Fundamentalisten)  werden die Pickelbilder wieder aus dem Netz genommen. „Es mag ja sein, dass ein Star Pickel hat, aber ich will das nicht sehen“.
Der Schein ist wichtig. Die Hülle. Die Oberfläche. Was interessiert uns, wer du bist? Hauptsache du bist schön. Kein Makel, bitte. Und bitte: Bloß kein Tiefgang.

Sei nicht du selbst. Sei der, der du sein willst.

Die Flut an Selfies erschlägt uns. Wir zeigen uns überall: In der Küche, beim Italiener, in der Disco, beim Shoppen, auf Reisen,  unterwegs und zu Hause, unter der Dusche. Doch wichtiger als das Erleben von Augenblicken, ist das Verbreiten dieser Momente im Social Web. Was auch immer ich gerade tue: Ich zeige es. Und erst durch das Zurschaustellen meines Lebens lebe ich.
So werden Postings zum Ersatz des wirklichen Lebens. Ersatzbefriedigung in einer Welt, die mit Reizen überflutet ist.  Mir ist egal was ich mache. Aber: Die Welt muss wissen, was ich mache. Sofort!  Und gut aussehen muss ich dabei. Ohne Pickel, ohne Makel. Jung, schlank, schön, sportlich.
Ich bin verliebt in mein Spiegelbild im Wasser. Und man störe meine Kreise nicht. Ich gebe es ja zu: Ich bin ein Narziss.  Selbstverliebt im Lifestyle Trend. Egal wie es mir geht: Hauptsache alle meine follower glauben, es gehe mir gut. Have a look at my selfies!
Ich trage meine Haut zu Markte: Morgens, mittags, abends, nachts. Immer ein Lächeln auf den Lippen. Ich bin meine Marketingidee. Ich verkaufe den Schein von mir. Fassade.
Viele Fotografen lieben diesen Schein und (er)schaffen ihn selbst: Menschen auf einer Waldlichtung, scheinbar verloren, blumenumrankt und den Blick ins Leere gerichtet. Was nicht schön ist, wird am Rechner schön und schlank gemacht: Elfen, Feen und Nymphen werden erschaffen. Andere Welten. Fluchten aus dem pickeligen Alltag.
Bei so viel Schönheit, wird Schönheit zur Banalität. Makellosigkeit im Mainstream.
Brave new world.
Wagen wir doch öfter  mal den Blick hinter die Fassade

14 Kommentare

  1. … danke Werner für den Text und die Bilder!

    Ich mag es, dass so viele Fotografierende für sich und ihre ‚Kunden‘ Scheinwelten erschaffen. Solches wird dann bei/von mir nicht verlangt (oder ich kann guten Gewissens ‚Nein‘ sagen und an einen anderen Fotografen verweisen).

    Werner, wir sind, so glaube ich, beides ‚Schuster, welche beim eigenen Leisten bleiben‘ sollen. Wir machen das eigene Ding ( http://www.lichtbildwerker.ch/2014/01/01/test-blog/ ) und gehen damit auf dem individuellen Weg. Komm, Werner, wir gehen einfach mal…

    Herzliche Grüsse, Paul

    • AlleAugenblicke

      Hallo Paul,

      danke für deine warmen Worte. Ja, das stimmt. Bei deinen Arbeiten fühle ich mich sehr zu Hause. Ich gehe gerne mit dir!
      Lg,
      Werner

  2. HF

    Interessanter Text, aber ich glaube, dass ‚Selfies‘ und ‚makellos‘ nicht in eine Kategorie fallen. Auf Selfies habe ich bisher wenig makelloses gesehen. Da liegt der Beweggrund vielleicht darin, der Welt mitzuteilen, das man lebt (so wie Du schreibst).
    Die Aufregung über die Beyoncé-Pickel ist meines Erachtens nach darin begründet, das ein Idol – um bewundert zu werden – makellos sein muss, denn Makel hat man ja selber (auch wenn man sich das bewusst nicht eingesteht). Auf der gleichen Ebene spielen ja auch die Sendungen im TV, die Menschen zeigen, die voller sog. Makel sind, damit der, der sich so etwas ansieht, noch jemanden hat, auf den er/sie hinab sehen kann.
    Was die Fotografie angeht, war sie schon immer eine Handlangerin der Makellosigkeit – früher wurden die Fotos per hand retuschiert, heute macht das Photoshop o.a..
    Ein Jeder entscheide für sich: Zeige ich die Welt, wie ich sie mir wünsche oder zeige ich sie so, wie sie ist!

    • AlleAugenblicke

      Hallo Hans.

      vielleicht entsteht durch den Text der Eindruck, dass „Selfies“ und „Makellosigkeit“ von mir in einen Topf geworfen werden. – Das ist aber nicht so. Den Selfies-Wahn sehe ich vor allem in dem Zusammenhang, ein „Leben Second Hand“ zu leben… Das „Erleben“ gerät offensichtlich zur Nebensache, die Hauptsache besteht darin, das Erleben zu posten. Aber bitte: Ganz (meine) subjektive Wahrnehmung, aber doch im Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Strömung.
      Vielen Dank für deine Meinung 🙂
      Lg,
      Werner

  3. „Ich bin meine Marketingidee. Ich verkaufe den Schein von mir. Fassade.“ So ist es vermutlich bei sehr vielen Menschen, die sich im Netz tummeln, vor allem bei denjenigen, die dies zwecks Eigenwerbung als Eigenmarke tun, aber man findet zum Glück auch immer mal wieder andere. Aber darum geht es ja nicht nur in deinem Artikel. Der Witz ist doch, dass es heute nur noch um äußerliche Makellosigkeit geht, die innere interessiert keinen Menschen. 😉 Wie sagte man früher so schön: Aussen hui, innen pfui. Nun passt das natürlich nicht immer übereinander, aber mitunter schon. Das Hui muss jedenfalls groß sein, um Aufmerksamkeit zu erregen oder extrem pfui. Normalität findet selten einen Platz in der ersten Reihe. Das war, behaupte ich jetzt mal, schon immer so.

    „Sei nicht du selbst. Sei der, der du sein willst.“ Glaubst du, dass das viele Menschen beantworten können, wer sie sein wollen? Krankt es nicht gerade daran? Sie versuchen der zu sein, den die anderen haben wollen.

    Werner, in deinem Text steckt so viel drin, was man ausführlich diskutieren könnte. Ich belasse es bei diesen Aspekten.

    Liebe Grüße!

    • AlleAugenblicke

      Ich mache mir halt viele Gedanken und teile diese gerne auf diesem Weg auch mit meinen Lesern.. Mir geht es vor allem darum, was Menschen (Fotografen) bewegt, die reine Makellosigkeit in Aufnahmen von Menschen zu bringen? Warum ist das so? Diesem Stream möchte ich wenigstens meine Gedanken entgegensetzen.
      Tja, und was die Selfies angeht… Nun ja… Narziss läßt grüßen. Aber: Das ist meine ganz private und subjektive Meinung.
      Lg,
      Werner

      • Gute Frage. Fange ich doch bei mir an: Ich habe noch keine makellosen Menschen fotografiert, aber ich versuche schon, sie so zu fotografieren, dass ihre individuelle Schönheit und nicht ihre Makel im Vordergrund stehen. Prangt bei einem Close-up ein Pickel auf der Wange, wird der wegretuschiert. Ganz klar. Den will in der Tat niemand sehen, mich eingeschlossen. Er ist eine kurzfristige Erscheinung und eh in 2-3 Tagen verschwunden, warum sollte er also auf Bild länger bleiben? 😉 Ãœbrigens vermute ich, dass die alten Maler aus genau dem Grund keinen Pickel mit portraitiert haben, denn sie haben ja längere Zeit an einem Bild gemalt ;-).

        Anders ist es bei der Optimierung ganzer Gesichter/Körper/Menschen. Da hast du natürlich Recht und wohin würde es führen, wenn es nicht auch die Fotografen gäbe, die sich dem Trend widersetzen. Vermutlich wüssten wir gar nicht mehr, wie ein Mensch in seiner natürlichen Schönheit wirklich aussieht. Wissen wir es jetzt noch? Glaube mir, als Frau in meinem Alter bin ich täglich damit konfrontiert, mich nicht genügend optimiert zu haben oder durfte ich gar in Frieden altern? Prominente Frauen meines Alters zeigen aller Welt, wie man heute auszusehen hat. Da wird kaum hinterfragt warum und wie sie das geschafft haben. Sie werden zur neuen Messlatte und alle anderen kämpfen mit diesen und ihren eigenen Bildern.

        Wie Kiki schon schrieb, manche Fotografen optimieren einfach alles, auch von Landschaften haben wir Kunstbilder im Kopf. Vielleicht werde ich eines Tages in Schottland am Strand stehen und mich wundern, warum das Wasser in Bewegung und der Himmel gar nicht gelb/lila ist 😀 ;-).

        Liebe Grüße

        Conny

        • AlleAugenblicke

          Moin Conny,

          mmh, die „alten Maler“ haben durchaus auch die „Pickel“ der Portaitierten gemalt… immer dann wohl, wenn es in ihre Bildaussage gepaßt hat. Insofern unterscheidet das Jetzt nicht von der Vergangenheit. Auch heute reden wir ja von „Inhalten“ und „Aussagen“. – Ich bekrittele ja auch gar nicht, dass bestimmte „Makel“ auf einem Foto wegretuschiert werden (das ist ja keine neue Entwicklung). Aber allein das macht ja keine Makellosigkeit. Wo ich aber ganz klar Stellung beziehe ist bei der Frage, dass ein bestimmte Form der Bearbeitung eine neues Bild schafft (z.B. wenn die Bearbeitung so stark ist, dass es die portraitierte Person verändert und zwar in einer Form, in der sie mit der wirklichen nichts mehr zu tun hat. – Das mag ein Stilmittel sein: Aber dann bitte mit der entsprechenden Kennzeichnung).

          Ich wehre mich gegen diesen Mainstream alles und jeden in einer verkitschten Schönheit zu zeigen. Das ist im Grunde schon alles. Und dabei stolpere ich über den Narziss (siehe heute passend den Artikel auf Kwerfeldein.de) – Das sind Entwicklungen, die ich für mich ablehne. Am Ende bleibt ein Einheitsbrei.
          Lg,
          Werner

          PS: Ich habe Kiki die Bücher von Umberto Eco empfohlen: Über die Schönehit und die Häasslichkeit in der Kunst. Die lege ich dir auch ans Herz. 🙂

          • Moin Werner,

            ich habe gelesen, was du Kiki geantwortet hast und die Bücher im Kopf notiert.
            Den Artikel auf Kwerfeldein.de habe ich heute gelesen und er bietet viel Stoff zum Nachdenken, sehr gut! Ich habe mich unabhängig davon tatsächlich schon Tage vorher von Flickr und der fotocommunity verabschiedet :-). Ob ich bei 500px bleibe, überlege ich noch, aber vermutlich gehe ich auch dort.

            Ich grüble jetzt darüber nach, wie wichtig mir die im Grunde unbedeutenden likes sind :-).

            Liebe Grüße

            Conny

  4. kiki

    Moin Werner,
    Was die Selfies angeht, bin ich ganz deiner Meinung. Eigentlich hat es sie ja schon immer gegeben. Jeder hat Bilder von sich, an irgendwelchen Orten festgehalten, als Erinnerung an einen schönen Moment. Das ist auch gut so. Aber irgendwas hat sich da in den letzten Jahren geändert. Liegt es vielleicht daran, daß soziale Netzwerke mittlerweile einen großen Anteil der Kommunikation ausmachen? Mit diesen Belanglosigkeiten könnte man in der Wirklichkeit keine Unterhaltung führen. Der Selfiewahn unterstützt meine Meinung hierzu. Ich kann dem nichts abgewinnen, sie sind überflüssig. Man bekommt schon eher ein beklemmendes Gefühl, daß die Leute einsam sind und nur noch auf diese Weise wahrgenommen werden. Makellosigkeit kommt eher schleichend, die Photoshopzombies sind ein gutes Beispiel. Das Bild wird analysiert, zerlegt und neu zusammengesetzt (so oder ähnlich, kenne mich da nicht aus 😉 ) und am Schluß sehen alle Bilder gleich aus. Makellosigkeit ist für mich hier ein Ausdruck von Langeweile. Gute Fotografen nutzen diese Möglichkeiten natürlich auch, aber dort bleibt etwas in den Bildern zurück, was den Blick fesselt. Und dieses „Etwas“ hat nichts mit Makellosigkeit zu tun. Eher mit Idee und Bildstil, das kann auch kein Bearbeitungsprogramm ersetzen, nur unterstützen. Manipulieren kann man alles, es gibt Leute die tauschen bei Landschaftsbildern mal kurz den Horizont aus, weil sie ihn langweilig finden. Sollen sie machen, aber was bleibt dann von diesem Augenblick übrig? Nichts! Makellosigkeit ist der Mainstream, aber man kann seinen eigenen Weg gehen. Auch und vor allem mit der Kamera 😉
    Lg kiki

    • AlleAugenblicke

      Moin Kiki,

      danke für deine Gedanken. Ja, du bist da auch wesentlich „tiefsinniger“ unterwegs. Man sieht es ja deinen Fotos und deinen Gedanken zu an.
      Mich umtreibt die Makellosigkeit vor allem bei Aufnahmen von Menschen: Was soll der Wahn nur schlanke Taillen zu zeigen und makellose Haut und Körper? Ist der Mensch so reduziert? – Aber das ist eine philosophische Betrachtung… Aber die darf hin und wieder ja mal sein 🙂
      Lg,
      Werner

  5. Hallo Werner,
    tolle Fotos und schöner Text dazu!
    Meiner Meinung nach sollten die Stars öfter ungschminkt und un-gefotoshoped gezeigt werden, denn viele -besonders junge- Leute setzen sich selbst unter Druck wenn sie dem vermeintlichen Ideal nicht entsprechen…
    leider wird im Gegenzug weniger Wert auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben gelegt!
    LG, Netty

    • Ich denke, seit sich der Mensch mit seinem eigenen Abbild beschäftigt, hat es auch eine gewisse Vorstellung von Makellosigkeit gegeben. Das kann man in allen Epochen beobachten. Michelangelo und sein David, vielleicht hat die Mona Lisa ja Pickel gehabt wie Beyonce, aber der Erschaffer dieses Bildes hat es einfach gut gemeint und darüber hinweg gesehen 😉 Heute erledigt man dies per Photoshop, fertig. Es ist halt die Frage, was man portraitiert, eine Hülle oder einen Menschen. Echte Portraitfotografie hat solche Eingriffe eigentlich nicht nötig, zumindest erkenne ich da nix 😀 Hab da aber auch keine Ahnung von 😉
      Der Selfie ist da schon etwas schwieriger, da er ja so etwas wie Selbstwahrnehmung zeigt und daher auch keine Bildbearbeitung nötig ist.
      Ich erinnere mich an eine Serie von Selfies, die die Akteure grinsend mit Victory Zeichen auf Besichtigungstouren an diversen KZ Gedenkstätten aufgenommen haben. War wohl völlig normal, dies auch gleich öffentlich zu posten, die Gemeinde mußte ja wissen, daß man dort war. Das machte mir richtig Angst! Absolutes No-Go!
      LG kiki

      • AlleAugenblicke

        Kennst du die Bücher von Umberto Eco: „Die Geschichte der Schönheit“ bzw. „die Geschichte der Häßlichkeit“? Die beiden fallen mir dabei sofort ein… Falls du sie nicht kennst: Lesenswert.
        Lg,
        Werner

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