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Vom Aufhören

Wir haben keine Kultur des Aufhörens

Harald Welzer in „Nachruf auf mich selbst“

Hören wir doch einfach auf: Wir lassen das Alte hinter uns. Schluss. Auch wenn wir nicht wissen, was dann kommt.

Hören wir doch einfach auf: Keine neue Kamera, die dann vielleicht eine Fantastilliarde Megapixel hat und mindestens eine Trillion Auslösungen kann. Lassen wir es einfach. Wir wollen doch sowieso unperfekte Bilder machen (jedenfalls ein nicht kleiner Teil von uns).

Hören wir doch einfach auf: Dem „Immer mehr“ mit einem „Noch mehr“ zu begegnen.

Nun aber wollen wir „nachhaltig wachsen“ – Längst hat das Marketing diese Wortkreation gekapert und lockt die Konsumenten (bald wieder in sämtliche „cyber spaces“ und dann in die Weihnachtswelt). – Und Glasgow ist wieder eine normale Stadt in Schottland.

Aber: Macht das Adjektiv „nachhaltig“ irgendetwas besser? Oder wird aus „Mehr“ einfach „nachhaltig mehr“?

Aufhören kann ein Ausweg sein. Das Nachdenken darüber kann jedenfalls nichts schaden. Aufhören passt zu uns Menschen. Auch wir hören irgendwann einfach auf. Vielleicht aber macht es uns deshalb auch Angst. Und es setzt tatsächlich voraus, aus einer Kultur des ständigen Wachsens, etwas Neues und Anderes zu machen

Manchmal denke ich, dass es sich mit dem Aufhören ähnlich verhält, wie mit der Perfektion unserer Fotos: Insgeheim träumen wir davon, nicht immer ein „Mehr“ zu machen müssen und simulieren eben mit immer neuer Technik „alte Zeiten“. Warum gestalten wir unsere Sehnsüchte nicht einfach neu?

18 Kommentare

  1. „Wir lassen das Alte hinter uns. Schluss. Auch wenn wir nicht wissen, was dann kommt.“

    Ist das nicht genau unser Problem? So wurde doch die letzten Jahrzehnte gehandelt!?

    • Werner Pechmann

      Ja genau. Deswegen braucht es eine Kultur des Aufhören, die an Stelle des Konsums andere Prioritäten setzt.
      Ich empfehle das Buch von Harald Welzer dazu.
      Liebe Grüße
      Werner

      • JoFer

        Aber ist das nicht schlimm, wenn man aufhört, ohne zu wissen (oder mindestens zu ahnen) was dann kommt? Aufhören ist einfach – aber was kommt danach, wer bestimmt das? Ich denke mal, das steht in dem Buch?

    • Werner Pechmann

      Das kann man so sehen. Daher plädiert Welzer ja auch dafür, nicht nur einfach die DInge hinter sich zu lassen und weiterzumachen, sondern eine neue „Kultur“ an die Stelle des „Weiter-So“ zu setzen. Da kann es dann nicht mehr um „Wachstum“ gehen.
      Liebe Grüße,
      Werner

  2. Lieber Werner, wieder mal wunderschöne Worte. Wieder mal wunderbare Ansätze zum nachdenken. Das Aufhören klingt so oft nicht sexy. Aber liegt nicht in Ende ein neuer Anfang? Und würde wirkliche Nachhaltigkeit nicht etwas neues entstehen lassen? Leider gibt immer noch das kurzfristige Geld den Ton an. Und Glasgow hat so wenig gebracht, dass es nicht weh tut, wenn es vergessen wird. Ich bin mir sicher, dass eine Radikale Änderung unseres Lebens ( das notwendig wäre um sich nur unter 2,5 Grad zu bleiben) nicht möglich erscheint. Aber ich hoffe trotzdem und diskutiere die Zukunft meiner Kinder mit jedem der vorbei kommt. Denn Hoffnung kommt oft nach dem Aufhören… Ja das flossen sie wieder, die wirren Gedanken. Aber danke für die schönen Worte und die schönen Bilder. Liebe Grüße Jürgen

    • Werner Pechmann

      Hoffnung. Ja, die Hoffnung ist es, die uns treibt. Die sollten wir uns auch unbedingt erhalten, in diesen doch so merkwürdigen Zeiten.
      Liebe Grüße,
      Werner

  3. Lieber Werner,

    wie recht du hast, aber wahrscheinlich geht es uns selbst in der Not immer noch zu gut. Schau dir die letzten 2 Jahre an ;-(
    Und doch ist die Welt voll von denen, die ohne gesicherte Perspektive mit allem „aufhören“. Außer dem Sein, weil es vielleicht doch noch eine einzige Hoffnung gibt, die Sehnsucht an ein Leben neu zu gestalten. Aber wen will man auch ändern, außer sich selbst?

    Liebe Grüße, Dirk

    • Werner Pechmann

      Lieber Dirk,
      ja, wen will man ändern, außer sich selbst… ? Eine kluge Frage.
      Fangen wir also bei uns an
      Liebe Grüße,
      Werner

  4. Aufhören wäre einfacher, wenn man eine Vision hat, wieviel schöner es anders wäre. Bestes Beispiel: Mit dem Rauchen aufhören…
    Die Motivation „weg von“ zu einem „hin zuc. Und da glaube ich schon, dass sich in diese Richtung was tut. Und ich bin nun mal eine unverbesserliche Optimistin ?
    Schön anzuschauen im übrigen Deine Bilder, LG

  5. Wieder einmal wunderbar geschrieben und bebildert, lieber Werner !
    Harald Welzers Gedanken zum Aufhören und sein Buch beeindrucken mich im Moment auch sehr. Schade, dass der Begriff der Nachhaltigkeit zum großen Teil nur noch greengewashed und als Buzzword verwendet wird, so sehr die Idee dahinter eine unserer Überlebensstrategien sein könnte.
    Herzlichen Gruß
    Peter

    • Werner Pechmann

      Man wird in meinem Alter nicht mehr so leichtfertig „Fan“ von jemandem. Aber Harald Welzer hat es mir wirklich angetan. Ich schätze seine Gedanken, Schriften und Auftritte in den Medien sehr.
      Liebe Grüße,
      Werner

  6. Nachruf ?
    Alle 10 Merksätze, bis auf den letzten (ein Leben nach dem Tod) kann ich vollends unterschreiben.
    Diesen Nachruf auf sich selbst zu verfassen ist auch Teil von Therapiekonzepten. Eine brilliante Idee von Welzer wie sowieso seine Gedankengänge.
    Danke für diesen Buchtipp! Lanz schaue ich öfters und freue mich immer, wenn ich Welzer sehr. Aber derzeit ist mir die Sendung einfach zu spät.
    Ich habe bereits vor Jahren das Buch „GENUG“ von John Naish
    gelesen. Dort geht es um die Notwendigkeit und Fähigkeit, dem Überfluss den Rücken zu kehren. Ebenfalls sehr empfehlenswert!

    • Werner Pechmann

      Danke für deinen Biuchtipp, Simone! Steht auf meiner Liste!
      Liebe Grüße,
      Werner

  7. Lieber Werner, in den letzten Wochen, vielleicht Monaten, bin ich fast gar nicht mehr dazu gekommen, Blogs zu lesen. Ich habe auch nicht ‚ernsthaft‘ fotografiert oder genug gezeichnet oder den Podcast mit Oli und Ivan weitergetragen. Es war einfach sehr viel los im echten Leben. Und es ist auch einiges an Müdigkeit da.

    Und der erste Blogbeitrag den ich nun wieder gelesen habe war Deiner. Und was ist das für ein Beitrag! Die vielen Reaktionen seit gestern unterstreichen mein eigenes Empfinden! Harald Welzer war gestern auch im Interview der Süddeutschen. Sein Gedanke, das Leben im Futur zwei zu betrachten ist außerordentlich inspirierend. Seine persönliche Geschichte ist es auch. Und Deine Ergänzungen und Bilder rund um diese Idee. Danke dafür. Das Buch ist jetzt ‚auf meiner Liste‘.

    Du wirst ein inspirierender Mensch für mich gewesen sein. Im Futur zwei.

    Liebe Grüße hier und heute: Steff

    • Werner Pechmann

      Es ist viel los im echten Leben: Ja, das stimmt. Deshalb freue ich mich, hier und wieder von dir zu lesen, lieber Steff.
      „Unverfügbarkeit“ (Buchtitel von Hartmut Rosa) ist das Wort, was uns beiden helfen kann, wieder kreativ zu sein.
      Danke für deine lieben Worte: Ich gebe sie dir gern zurück: Du bist im hier und jetzt (und auch in Zukunft, hoffe ich), eine stetige inspirierende Quelle
      Liebe Grüße,
      Werner

  8. Und Welzer liegt jetzt auch auf meinem Tisch ☺️

  9. Irgendwie denke ich bei deinem text an den Titel „die Entdeckung der langsamkeit“. Das immer mehr ist vielleicht dieses Konstrukt der zeit, die fallen muss. Wer weiß? Die Welt ist im Wandel sagt galadriel am Anfang der Herr der Ringe Filme. Es ist die Illusion der „Boomer“, dass immer alles wachsen kann und muss, ich glaube wir „Ys“ und alle die, die die Augen nicht verschließen sehen, dass das nicht möglich sein wird. Unsere Generation kann als erste den Wohlstand der Elterngeneration nicht nur nicht halten, sondern auch nicht erreichen. Vielleicht entsteht so aber auch Raum, dass es nicht Wachstum sein muss, sondern Veränderung, Bewegung und andere Werte als Reichtum und Prestige in den Vordergrund rücken. Aber vielleicht ist es auch nur ein kleiner hoffnungsvoller Traum…

    • Werner Pechmann

      „Die Entdeckung der Langsamkeit“ : Was für ein wunderbares Buch. Es ist Jahre her, dass ich es gelesen habe. Und doch: Ja, es bleibt so viele hängen.
      Ich gehöre wohl zu den Boomern – und doch auch nicht: für mich war das grenzenlose Wachstum stets eine Illusion, genährt von einem Neoliberalismus, der uns lehren wollte, dass der Markt alles regelt: Gib ihm nur Futter genug. Nun ist er gemästet und doch noch immer nicht satt.
      Ich setzte auf Euch ihr „Ys“!

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